Ursula Krechel: Zu Peter Rühmkorfs Gedicht „Schön zuschanden“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Peter Rühmkorfs Gedicht „Schön zuschanden“ aus dem Band Peter Rühmkorf: Gesammelte Gedichte. –

 

 

 

 

PETER RÜHMKORF

Schön zuschanden

Vom Sommer aufgehetzt, ins Licht verschlagen,
allez! und schirr die scheckigen Träume an:
als Show-Elias, keck, im Feuerwagen,
als, mit der Luft im Bunde, kleiner Hävelmann.

Nach Daidaland auf glimmenden Pleureusen,
bis sich mein Schöpfer ernst mit mir befaßt –
Schau mein Gesicht im Jubel und im Bösen!
Ist dies dein lieber Aff, an dem du Wohlgefallen hast?

Der kaspert, wie du mit der Braue zuckst…
Bestell dein All, wir kommen schön zuschanden,
im Abendäther, zwischen Windgirlanden

den Tag verblasen und die Glut verjuxt.
Verblasen, ach, wen trug der Fittich von Papier?
wozu? in den entflammten Himmel über mir –?

 

Ist’s recht so im Argen?

Formen, Formen! rufen die sibyllinischen Lyrik-Kritiker, die häufig genug selbst akademisch geplättete lyrische Stimmen vernehmen lassen. Formen, Formen! Die gegenwärtige Lyrik braucht ein Korsett. So wird mit verwitterten, brüchigen Fischbeinstäbchen auf flatternde Zeilenenden geschlagen, damit sie kürzer werden. Die Erfindung der lyrischen Strumpfhose ist dem neuen Gedicht nicht gut bekommen. Plötzlich zeigten alle Lyriker ihre krampfadrigen Schenkel und ihre kalkweißen Ichs, die sich glichen wie ein Knickei dem anderen. Formen, Formen! rufen sie schieflippig, nachdem niemand mehr hören will, was sie im vorletzten Ausverkauf gerufen haben: die neue deutsche Lyrik beschränke sich auf Inhalte zwischen Wohnküchenklo und dem Rund eines Bierdeckels. Es ist ein Geschrei wie vom kleinen Hävelmann persönlich angezetert: laut, aber bar jedes historischen Bewußtseins. Der Rückgriff auf tradierte Formen ist selbst schon Form, die, um Unannehmlichkeiten zu entgehen, vor ihrer eigenen Tradition die Augen schließt. Anständige und unanständige Sonette schießen aus dem Boden wie Pilze. Wir knüpfen unsere Halstücher fester: jedes Stückchen Stoff ein Erkennungszeichen. Die einen tragen den Zipfel des Halstuchs im Genick, die anderen in der Halsgrube. Tünche, Tapferkeit, Tausendblumenteppiche auf dem Trockenen. Ein dünnes Glöcklein bimmelt Endzeit, als sei dem Mesmer die schwielige Hand eingeschlafen. Jetzt werden Brücken und Kronen über hohle Zähne gebaut. Wohl dem, der in die Dichtervorschule gegangen ist und zwischen den Fibelseiten einen eigenen Reim versteckt.
Ein so formfindiger und formkundiger Autor wie Peter Rühmkorf kann solchen literarischen Stuckateuren leicht auf den losen Putz klopfen. Wetten, daß die Decke herunterfällt. Die Ironisierung der Sonett-Inflation als der strengsten und gleichzeitig am weitesten verbreiteten festgezurrten Form aber hat selbst vergnügliche Vorfahren.

Wenn einer Dichtung droht Zusammenbruch
Und sich die Bilder nicht mehr ordnen lassen,
Wenn immer wieder fehlschlägt der Versuch,
Sich selbst in eine feste Form zu fassen,

[…]
Alsdann erscheint, in seiner schweren Strenge
Und wie das Sinnbild einer Ordnungsmacht,
Als Rettung vor dem Chaos – das Sonett

dichtete polemisch ein Autor, der selbst viele Sonette geschrieben hat: Johannes R. Becher. Er führte dem deutschen Sonett wieder zu, was ihm seit Rilke, seit Stefan George immer mehr ausgeblichen war: Inhalt. Das bedeutet bei Becher vor allem: politischer Inhalt. Nach ihm haben sich in erstaunlich großem Maße gerade politische Autoren des Sonetts bedient, in der Bundesrepublik wie in der DDR.
Peter Rühmkorf hat um 1960 eine ganze Reihe von Sonetten geschrieben, in denen das Untergangsbewußtsein, das Becher noch gegen seine Fabrikanten wendet, spielerisch zur allgemeinen Grundlage der abendländischen Luftspiegelei ernannt wird. Ausverkauf, ein fröhlich-grimmiges Hadern mit den letzten Dingen der Kunst, ein Jonglieren zwischen dem Banalen und den gesicherten Kulturgütern ist Peter Rühmkorfs Sache.
Diese Dualität zwischen erlittener Zerstörung und der Lust an der Zerstörung deutet schon der Titel des Sonetts „Schön zuschanden“ an. Ein privater, alltäglicher Weltuntergang des Luftikus, den es zu Höherem, zum Himmlischen drängt:

Und schirr die scheckigen Träume an.

Ist das der morgendliche Schlachtruf des Poeten am Schreibtisch? Das erste Quartett holt weit aus in die machtvollen Elemente Luft und Feuer, spannt einen Horizont, auf dem die Identifikationsmöglichkeiten Show-Elias und kleiner Hävelmann, Gestalten aus dem judäisch-christlichen Bereich und aus dem Kindermärchen, aufsteigen. Die Hinwendung zum Schöpfer bietet eine dritte Identifikationsmöglichkeit, diesmal rational und darwinistisch:

Dein lieber Aff.

Daß er kaspert, läßt eine ganze Reihe von Deutungen zu. Äfft er, ein gut dressierter Vasall, den Schöpfer schon bei der kleinsten Bewegung nach? Mokiert er sich über die knappe Herrschaftsgeste? Was ist ausgespart mit drei Punkten? Flugs wird der im zweiten Quartett angerufene Schöpfer wieder in die selbstgesetzten luftigen Schranken verwiesen:

Bestell dein All, wir kommen schön zuschanden.

Das letzte Terzett endet in einer schönen poetischen Offenheit, die nie ganz aufgeht. Wer ist der „Fittich von Papier“? Schützt er den Autor, oder muß er nicht selbst geschützt werden in seiner Zartheit? Meint Rühmkorf das Gedicht und wen kann es tragen, ach? Wer steigt da seufzend in den Himmel auf? Ein knappes, kühles, skeptizistisches „wozu?“ ist in die letzte Zeile eingerückt.
In seinem Anspielungsreichtum, seinem distanziert und gleichzeitig leidenschaftlichen Sprechen ist Rühmkorfs Sonett ein gutes Beispiel für den weitausholenden Umgang mit der strengen Form in der Gegenwart. Der Umgang mit tradierten Formen wird nur produktiv, wenn ihm nicht Mangel – an Eigensinn, an Phantasie und Wut, Formen zu zertrümmern – zugrunde liegt, sondern eine Wahl aus einer Fülle von Möglichkeiten. Nur aus der Lust am Stürzen, der Kenntnis der Fußangeln, dem offenen Blick, der sich in die Lüfte erhebt und verblasen schon zuschanden gehend sich selbst betrachtet, aus vielen Ermutigungen und Seufzern – „allez!“, „ach“, „wozu“ – erhebt sich der Fittich von Papier, das luftige Flugschreibwerkzeug, hinter dem Ofen wellt er sich und vergilbt, ehe er noch das Fliegen gelernt hat.

Lesarten. Gedichte, Lieder Balladen. Ausgewählt und kommentiert von Ursula Krechel, Luchterhand Verlag, 1982

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