Vera Schindler-Wunderlich: Langsamer Schallwandler

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Vera Schindler-Wunderlich: Langsamer Schallwandler

Schindler-Wunderlich-Langsamer Schallwandler

SCHALL-SPRECH

Wie ich dies Gedicht zu schreiben begann
: als die Damen am Nebentisch redeten
mit Schall, doch um welche Tische geht es hier,
um welchen außerdienstlichen Hall?
Wenn alle beflissen tippen im Zug,
gibt es keinen Hier-sprech-ich-,
gibt es fast gar keinen Schall.

: Das Ordnen der Biergarten-Stühle in
Gruppen, stotternder, schabender Schall,
es riecht nach fünfzehn Uhr
und er hat aufgehört, der schrille Mittagsschall.
: Und jeder Augenblick hat Schall, jawohl,
und jedes Wort hat einen angedichteten –

: Wir lieben heftig, wenn wir einsam sind,
der Landebahn Schall, den Schall des
Propellers, nicht des Sich-Luft-Machers,
nicht der Schaumschlägerin Schall und da
ich es, o ihr am Nebentisch, so will,
endet auch diese Zeile mit „Schall“.

: Ach, du Damen-Plauder-, privater, du
Wort- und Schlag-, du stiller Moll-Schall,
lasst ihn vorzugsweise sein, des Gemurres,
fallt stündlich in des Aus- und Osterlachens
Schall, wir gaben unserer Vorvorvorsicht
viel zu viel Zuvielschall.

: „Werden Sie bloß rasch wieder tauglich!“
Obersten-Schall, gefolgt von jawoll-
wolligem Verzweiflungsversprechen-Schall.
: Wir hatten uns angeschrien im Wald, rasanter,
unvermeidlicher, Meisen und Hasen vertreibender,
sich langsam in Schwank wandelnder, Grimmige
störender, williger ja-Nein-Misch-Mut-Schall.

 

 

 

 

Nachbemerkung von Lioba Happel

Vera Schindler-Wunderlich hat bisher zwei sehr beachtete Lyrikbände vorgelegt mit Gedichten, die sich ähneln in ihrem starken lyrischen Duktus. Nun hat sich ein Schallwandler in ihre Poesie hineingeschoben, es ergibt sich ein neuer Ton.
Die dezidiert und sicher gesetzten Überschriften ihrer Gedichte klingen, als würden sie noch einmal ins Visier holen wollen, was in der Lyrik einmal so selbstverständlich, auch schön war: Vom fernen, glücklichen Fest, Mittlere Brücke, Nicht umkommen wollen im April, Das Maß des Gießens. Dann stoppt sie, die Lyrik, beinahe sofort, oder mittendrin; lässt Rufe hören; befragt, „wie bitte?“; schleust echte und fiktive Zitate ein. Etlichen der hier vorgelegten Texte, ob im experimentellen oder im eher vertrauten Stil gehalten, liegt etwas zugrunde, was schon früher bei der Dichterin anklang: eine feine Selbstbefragung der Zeilen.
Immer wieder neu zu begehende Textlabyrinthe entstehen so, sei es über Alltägliches, sei es über Abgründiges.
Immer wieder fügen sich, wie schwimmende Rosen auf einem Teich, Teile von großer poetischer Schönheit zusammen. „Sprechbett, Bachbett“ … „O die Wolfsquinte“ … „Wie wenn es um Minne ginge“ … „wenn ich vorbeigeh, tags, sachte, maskiert“ … „Wir lieben heftig, wenn wir einsam sind, / der Landebahn Schall“ … Vollmundworte sind das nicht, aber überraschende, hochpoetische Wendungen, die einem nicht mehr aus dem Sinn gehen.
Bleibt noch zu erwähnen die im Vergleich zu ihren früheren Texten grafisch viel freiere Gestaltung dieser ins Offene gehenden großartigen neuen Lyrik; hierzu sei eine junge Leserin zitiert, die Gedichte sonst scheut: „Oh, da kann ich ja auf dem Blatt umhergehen und richtig zu lesen beginnen.“

Lioba Happel, Nachwort

 

Beitrag zu diesem Buch:

Timo Brandt: Vera Schindler-Wunderlich: Langsamer Schallwandler
Instagram, 3.12.2022

Fakten und Vermutungen zur Autorin

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