Hans Magnus Enzensbergers Gedicht „Schläferung“

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HANS MAGNUS ENZENSBERGER

Schläferung

laß mich heut nacht in der gitarre schlafen
in der verwundeten gitarre der nacht
laß mich ruhn
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaim zerbrochenen holz
laß meine hände schlafen
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaauf ihren saiten
meine verwundeten hände
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaalaß schlafen
das süße holz
laß meine saiten
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaalaß die nacht
auf den vergessenen griffen ruhn
meine zerbrochenen hände
aaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaaalaß schlafen
auf den süßen saiten
im verwunderten holz

1956/57

aus: Hans Magnus Enzensberger: Gedichte 1950–1995, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1996

[Das Gedicht „Schläferung“ ist wahrscheinlich nicht korrekt abgedruckt. Eine Diskussion darüber wurde auf Facebook geführt und in der taz beschrieben.]

 

Konnotation

Als 1957 der umtriebige Radio-Redakteur und Übersetzer Hans Magnus Enzensberger mit einem Gedichtband (verteidigung der wölfe) auf der literarischen Bühne erschien, war – so schien es – der Prototypus des politischen Lyrikers geboren. Der 1929 geborene Enzensberger definierte seine Gedichte nüchtern als „Gebrauchsgegenstände“ und verwies auf das „anarchische“ und „subversive“ Dasein des Gedichts. In seinem Debütband finden sich aber auch Texte, die sich in surrealistischer Weise den fluiden Zonen von Halbschlaf, Traum und Halluzination nähern.
Die „Schläferung“ folgt einer leisen, suggestiven Melodie: ein surreales Wiegenlied, das in hypnotisch wirkenden Wiederholungen und kühnen Metaphern immer wieder die Bildlichkeit der Nacht mit der Topik der Gitarre und ihrem „zerbrochenen“ und „verwunderten“ Holz verbindet. Hier waren es wohl die Begegnungen des Übersetzers Enzensberger mit der Traumsprache der spanischen Modernisten (Rafael Alberti, Federico Garcia Lorca u.a.), die ihn zu diesem Gedicht inspirierten.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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