Georg Heyms Gedicht „Der Himmel wird so schwarz…“

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GEORG HEYM

Der Himmel wird so schwarz…

Der Himmel wird so schwarz, als würd es Nacht.
Der bleiche Schein der fernen Blitze loht,
Wie Todes Aug aus gelber Maske droht.
Das Wetter zieht herauf in dunkler Pracht.

Der erste Windstoß preßt die Kiefern rauh.
Die Raben wirbeln auf wie schwarzes Laub.
Vom weißen Strande wälzt sich hoch der Staub
Und zieht zur See hinaus wie Wolken grau.

Die Möwen ziehn am Wasser ihren Kreis.
Ihr Fittich ist wie Frauenschultern rein.
Des Ufers Villen stehen in dem Schein
Des wetterdunklen Himmels seltsam weiß.

Der Regen rauscht in Abends Dunkelheit.
Fern in den Wolken noch der Donner hallt.
Im Wind und Regen friert der Uferwald
Wie in Novemberabends Traurigkeit.

1910

 

Konnotation

Dieses Gedicht aus dem Nachlass des Frühexpressionisten Georg Heym (1887–1912) steht in einer Reihe von apokalyptischen Texten, in denen ein heraufziehendes Gewitter als schweres Zeichen für einen größeren Untergang fungiert. Die Erde ist hier in Aufruhr und zeigt ihr düsterstes Antlitz – die Schwärze des Himmels kontrastiert dabei mit dem seltsam künstlichen Weiß der Strandvillen und der Frauenschultern.
In dem motivverwandten Gedicht „Vor einem Gewitter“, das freilich ein Jahr nach dem vorliegenden Gedicht entstand – „Der Himmel wird so schwarz…“ ist auf den Juni 1910 datiert –, wird die katastrophische Vision explizit: „Und viele sterben jetzt…“, heißt es in einem Vers des Gewitter-Gedichts. Die sich verfinsternde Natur ist bei Heym nur ein Vorzeichen für die eschatologische Erwartung, die er in seinen Tagebüchern formuliert: Dass nämlich ein Krieg kommen möge, der den faulen Frieden zerreißt.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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