DIE PROPHEZEIUNGEN HABEN SICH ERFÜLLT
Wo geht die Rechnung nicht auf, damit ich Luft kriege
Wo ist das Krumme hinter dem Graden
Der Regen geht und der Wind geht
Umbringt sich keiner
Was herauskommt das wird genommen
vergessen wird was wir vorhatten
In Halbheiten bleibt alles hängen
für den Rest fressen wir uns voll
wer die eine nicht gefunden hat
gibt sich mit den vielen zufrieden
wer das eine nicht geschafft hat
ist zu allem bereit
Und was werfe ich an Land
was kann ich vorweisen wenn die Ebbe meinen Boden fegt
wenn die Sterne aus meinem Himmel fallen
Stieg mir das Fett zum Herzen
bin ich schon meine eigene Prothese
ist mir das Leben nur Angewohnheit
die Wälder riechen nicht mehr
die Frauen lieben nicht mehr
die Soßen schmecken nicht mehr
wir ersaufen in unsrer eigenen Massenhaftigkeit
wir sind in keinem Gefängnis, aus dem wir ausbrechen könnten
wir sind in keinem Traum aus dem wir erwachen könnten
wir sind in keinem Leben, aus dem wir sterben könnten
Er war in den 60er und 70er Jahren einer der prägenden Regisseure des Deutschen Theaters und wurde nach seinem Weggang aus der DDR auch ein unbequemer Geist auf westdeutschen und europäischen Bühnen. Immer hat er geschrieben: Geschichten, Tagebücher und – Gedichte, geprägt von den Aufbruchsoptionen der sozialistischen Gesellschaft, traurig beseelt von den unweigerlichen Enttäuschungen. Und mehr und mehr wurde ihm, was er im Osten erlebt hatte, zum Gleichnis für Weg und Irrweg aller Existenz.
Ankündigung in Reinhard Bernhof. Poesiealbum 331, MärkischerVerlag Wilhelmshorst, 2017
Diese Gedichte kommen vom Protokoll, von der Mitschrift der inneren Vibrationen; das Fühlen denkt, und die Empfindungen beharren auf ihrer Kraft des Begreifens.
Martin Linzer
Der verborgene Punkt, in welchem die Kategorien der Freiheit, der Moral, der Erkenntnis und der Ästhetik sich berühren, hat ihn offenbar seit frühester Jugend beschäftigt.
Maik Hamburger
Ihm wurden die Gedichte zu einem Tagebuch der aufgestörten Regungen.
Günter Gaus
Er erscheint mir im Bild jenes Siebenmeilenstiefel-Läufers, dem, der phantastisch weit horchen, und dem, der fabelhaft genau schießen kann; manchmal ist er alle drei in einer Person.
Friedrich Dieckmann
Seine Zuversicht ist durchschwärzt, seine Hoffnungslosigkeit knallt er uns als pure Helle hin.
Einar Schleef
Er ist mit Leidenschaft Sternenbeobachter, seine Lyrik trifft oft den Moment, da der scheinbar so sichere, aufgeklärte Mensch urplötzlich so allein ist, daß er sogar das Gespräch mit dem Universum sucht, um eine Chance der Selbstvergewisserung zu erhaschen.
Jan Helbig
Das lyrische Ich vieler Gedichte entspricht weitgehend der Person des Autors.
Renate Rätzel
Er zeigte sich als Regisseur. Seine eigenen Texte verbannte er auf die Hinterbühne seiner Existenz: Dramen, die er nur auf dem Papier inszenieren konnte, in der Zimmerstille, in der er sein Blut tosen hörte. Dort, wo die letzte Losung verblaßt ist und nie eine Fahne ausgesteckt wird, ist sein krasses Land. Texte aus dem Verlies, die von Freiheit träumen.
Volker Braun
war ein großer Theaterregisseur und ein Dichter ganz aus jener Selbsterregung heraus, die sich an einer allseits entfremdeten Welt entzündet, mit Lust und Leid. Dem Leid, dieser Welt ausgesetzt zu sein – und der Lust, sich mit dieser Welt auseinanderzusetzen. Der Wanderer zwischen den Systemen hat sich in der DDR nicht vom Pathos der Hoffnung zu gelogenen Höhenflügen verführen und im Westen nicht von der Gleichgültigkeit der Freiheit niederdrücken lassen: ein leidenschaftlicher Sternengucker und menschenliebender Provinzkenner. Er sucht in seinen Gedichten nach den Punkten, da sich die Ideale mit den Entzauberungen berühren.
MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2017
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