Barbara Frischmuth: Zu Christine Lavants Gedicht „Wie gut“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Christine Lavants Gedicht „Wie gut“ aus Christine Lavant: Die Bettlerschale. –

 

 

 

 

CHRISTINE LAVANT

Wie gut

Wie gut, daß ich verborgen bin
und niemals wieder sichtbar werde.
Mein Kern – im Widerspruch zur Erde –
begab sich selbst zum Monde hin,
jetzt kannst du ruhig schlafen.
Der Ort, wo wir uns trafen,
war niemals wirklich in der Zeit.
Verzeih mir dies – aus Einsamkeit
herausgeschälte – Wissen.
Vielleicht fühlt sich dein Kissen
trotzdem auch manchmal tauig an,
vielleicht verkündet dir der Hahn
vom Hühnerbaum her oft zu grell,
daß jetzt der Morgen wieder hell
gläsern über deinem Dach
heraufsteigt, während du ganz schwach
und übernächtig bist?
Ich bin es nicht, die dich dann quält,
ich bin die Magd, die Äpfel schält
im Mond und keinen ißt.

 

Der Hahn vom Hühnerbaum

Christine Lavant, die sich nach dem Fluß nannte an dem sie lebte (1915 bis 1973), wurde als neuntes Kind einer Bergarbeiterfamilie geboren, skrofulös, schwerhörig, schwachsichtig, anhaltend von Fieber und Eiterungen gequält und zu kränklich, um die Hauptschule länger als ein Jahr zu besuchen. Bis sie als Dichterin in den fünfziger Jahren bekannt, publiziert und mit Preisen geehrt wurde, verdiente sie ihren Lebensunterhalt mit Stricken. Rilke war ihr Erweckungserlebnis. Später beschäftigte sie sich mit naturwissenschaftlichen Büchern und mit mystischen Geheimlehren. Sie las Meister Eckehart und Jakob Böhme, besaß die Gabe des Vorherwissens und ahnte angeblich den Tod von Freunden voraus.
Die Gedichte der Christine Lavant sind magische Sprachschöpfungen: Sie erklärte nichts, korrigierte selten und blieb bis zum Ende mondbefangen. Darüber befragt, wie es ihr gelinge, die Naturdinge so zum Sprechen zu bringen, soll sie geantwortet haben:

Ich schreib’ einfach nach.

Dieses Gedicht stammt aus dem Band Die Bettlerschale der 1956 erstmals erschienen ist. Die Trauer, die aus ihm hervorscheint, ist die der Trennung, einer oft versuchten, vielleicht längst vollzogenen Trennung, die doch keine endgültige sein kann, wie endgültig der Anspruch auf einen gemeinsamen Ort in der Zeit sich auch rückwirkend verbieten mag.
Noch verbindet die vorgestellte Schlaflosigkeit des Geliebten ihn mit der Liebenden, die schon als gleichsam Entrückte zu ihm spricht. „Was ist das Herz? Ein bitterlicher wilder Apfel“, heißt es an anderer Stelle, aber die Äpfel in diesem Gedicht erinnern auch an jenen, dessen Kerne Persephone aß, den Granatapfel, diese alte Liebes- und Todesfrucht vieler Mythen. Er wird noch geschält, aber nicht mehr gegessen. Wozu auch: sein Kern, der Nukleus, der diese Liebe enthält, hat sich längst zum Mond hin begeben. „Wie gut, daß ich verborgen bin / und niemals wieder sichtbar werde“…, nicht als Kern, aber möglicherweise als neues Wesen der Liebe oder als neues Liebeswesen, jetzt kannst du ruhig schlafen… Die bedrängende Nähe hat sich mondweit entsetzt, sich dem alten Symbol der Verwandlung anheimgegeben und einen neuen Ort in einer nicht an die Erde gebundenen Zeit gewählt.
Aber die Anspielung sucht das Körperliche. Der Hahn vom Hühnerbaum (eines der für die Lavant so typischen Doppelworte) kündigt nicht nur den Morgen an, er bekräht auch trotz des betonten Verzichts die – wie oft schon? – versäumte Nacht eines glücklichen Beieinanderliegens. Es ist wohl kein Trost, daß auch der Geliebte sich schwächt am Nichtvollzug und sich übernächtigt an seiner Einsamkeit, doch läßt sich darin eine letzte Spur von Gemeinsamkeit ausmachen.
„Ich bin es nicht, die dich dann quält“, wohl das verräterischste Versprechen, das Liebe geben kann. Und sie gibt es nur, weil sie davon überzeugt ist, daß der Geliebte nicht gequält zu werden braucht, daß er sich selber bis zur Erschöpfung gequält hat, nachdem er die Trennung zuließ, sie vielleicht sogar erzwang. Was von der Wortwahl her so dorfnah und naturverbunden klingt, ist Kaschierung und Beschwörung zugleich. Die Liebe, die unerfüllte (im Widerspruch zur Erde), wird in eine andere, aus der irdischen Zeit ausgeklammerte Seinsweise überstellt, in der das gegenseitige Quälen vielleicht wirklich einmal aufhören darf und die Äpfel (des Todes?) nicht mehr gegessen werden müssen.
„Dies – aus Einsamkeit / herausgeschälte – Wissen“ stand der Dichterin Christine Lavant ins Gesicht geschrieben. Ihre übergroßen dunklen Augen dominieren jedes Porträt, seien es die Holzschnitte von Werner Berg oder die paar veröffentlichten Fotos. Übrigens führte sie die einzige größere Reise, die sie zeitlebens unternahm, nach Istanbul. Sie bildete sich ein, noch von den Türkenkriegen her ein wenig türkisches Blut in den Adern zu haben.

Barbara Frischmuthaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Neunzehnter Band, Insel Verlag, 1996

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

0:00
0:00