aaaaaEine Apfelblüte
aaaaalang wehrt sich die
aaaaaLiebe. Länger
aaaaawährt immer Verrat. Bis
aaaaader Freude die Luft
aaaaawegbleibt und keine Lust
aaaaaihr Lachen nicht
aaaaaentlässt. Kein Ja ist
aaaaaachtsam genug.
aaaaaIst genug auch ohne Sieg
aaaaaund Schmerz. Nun
aaaaaversteht sich vielleicht ein
aaaaabisschen besser
aaaaawer abkommt vom Menschen.
aaaaaBleibt kein Du und
aaaaakein Hauch sonst wenn eine
aaaaaNacht wie Wir hereinbricht von unten. – Lesefrüchte aus meinen jüngsten antiquarischen Erwerbungen: Die Prosa von Maurice de Guérin (mit Illustrationen von Rodin) kommt mir ungemein frisch vor, unwiderstehlich zupackend trotz schwermütiger Nachdenklichkeit. Dazu zwei Bände von Joseph Joubert, Prachtausgabe in Leder, seltenes Zeugnis dafür, dass (und wie) Intelligenz und Rhetorik mit gleicher Souveränität gehandhabt werden können. Tagebücher von Jean Cocteau aus den Jahren 1951 und 1952 – viel Prominenz und beautiful people werden hier vorgeführt, Aktuelles steht neben Erinnertem; bin überrascht, wie uneitel, prosaisch, auch selbstkritisch und stellenweise sogar nachdenklich Cocteau sich selbst und seine Welt präsentiert – alles sehr einfach und einprägsam abgefasst, obwohl die Notate mehrheitlich auf Reisen, in Hotels, im Flugzeug verzeichnet wurden; überraschend auch die wiederholte Klage Cocteaus darüber, berühmt und dennoch unbekannt … dennoch unerkannt zu sein; exzellente Lektüreberichte, unter anderm zu Marcel Proust, den er souverän als Vielschreiber und miesen Charakter herausstellt, und dies nicht bloß behauptend, sondern belegt durch mancherlei krasse Zitate; abgesehen davon finden sich in diesen Tagebüchern starke freundschaftliche Portraits von Strawinsky, Gründgens, Genet, Picasso usf. – Im Stehen schlafen: meine Art zu kämpfen. – Spät aufgewacht … verschlafen; bin seit Tagen missgestimmt, Atem beengt, ständige Nackenschmerzen, lästige Konzentrationsschwäche – seit wann schreibe ich solche … seit wann eigentlich schreibe ich all diese Trivialitäten auf? Wozu? – Lese fasziniert die Geschichte der antiken Textüberlieferung. Nur wenige der großen alten Diskursbegründer sind als Autoren anhand ihrer Texte fassbar – keine Schriften gibt’s von Sokrates, Epiktet und vielen andern; manche kennt man nur aus Abschriften fremder Hand, aus Fragmenten, Fremdzitaten usf. Anonyme oder zweifelhafte Autorschaft lässt umso überzeugender den Text hervortreten. Oft ist es doch so, dass der Name des Autors wie ein Titel über oder vor dem Werk steht und allein dadurch die Leseperspektive verengt. Der Anonymus hingegen tritt hinter das Werk zurück, macht es als solches erkennbar, überlässt dem Text selbst die Autorität. – Fahriges Arrangement – Frühstückstisch, Sonntagspresse, Radiogeplauder; Mönchstee, duftende Brioches, leicht wie Wattebäusche; längst überholte »letzte Nachrichten« aus dem syrischen Bürgerkrieg, von der ATP-Tour, von der Tokioter Börse, vom gestrigen Terroranschlag in London, vom gestrigen Komasaufen in Winterthur, von Finanzmanipulationen im spanischen Königshaus, von einer Massenkarambolage auf der A1, von der Selbstverbrennung eines Uiguren im jurassischen Vallorbe; dazu auf Ö1 gefällige Barockmusik zum Tagesauftakt und … und plötzlich dies: Verflucht! Nun müssen wir schon wieder brüten, ob dieser Himmel draußen wirklich sei? Ich merke auf, hebe den Kopf, sehe durchs Küchenfenster hinüber zum Leitungsmast mit den weißen Porzellanmanschetten, stelle fest, ich bin zurück in meiner kleinen Welt, die nichts anderes als die Wirklichkeit ist. Lese weiter, achte nicht mehr auf die Hintergrundmusik, bis sie ausläuft und plötzlich wieder diese raue Frauenstimme kommt: Wer rollt denn ewig dieses blaue Ei in unsre Nähe, bis die meisten wüten und ich vor Angst mir kaum noch helfen kann? Es folgen noch ein paar Sätze dieser Art … Sätze, die alles und noch viel mehr sagen wollen, die nichts sonst neben sich dulden, fordernd, bekenntnishaft; ich unterbreche die Zeitungslektüre, diesmal höre ich genauer hin: Ich bin ein Zorn und bohre meine Zehn durchs linde Laub hinab zum scharfen Lauch. Oder so ähnlich … so Ähnliches muss ich schon mal gehört, schon mal gelesen haben: Ich weiß, ich brenne, ohne je bei dir auch nur in Form des Weihrauchs anzukommen. Wer da spricht? Wessen Ich? So selbstgewiss und so ungeschützt. Von allen Sinnen steigt mir eh-eh einer in die Vogelkehle durch den Schmerz, und meine Rechte z-zi-zittert in der Linken. Ich notiere: Habe meine Flügel hingegeben an die Löwin meiner Schwäche, bis ich wiederkehre und Warnung und Vorschriften weiß. Sie hörten, sagt nun die Sprecherin, Gedichte von Christine Lavant. Ich kenne den Duktus, Intonation und Metaphorik sind mir seltsam vertraut: Die Lavant gehörte, als ich in den mittleren 1960er Jahren mit dem Schreiben begann, zu meinen bevorzugten … gehörte zu den wenigen Autoren, die ich bedingungslos respektierte und von denen ich beliebig viel lernen konnte. Danach ist sie mir, ich weiß nicht warum, für Jahrzehnte abhanden gekommen. Dass ich jetzt ganz zufällig und in alltäglichem Zusammenhang an sie erinnert werde und unwillkürlich auf ihre lyrische Stimme reagiere, ist für mich ebenso bemerkenswert wie die Tatsache, dass sich starke Poesie so unabweisbar durchsetzt, auch wenn man nicht eigens auf sie hinhört … auch wenn man anderweitig interessiert und entsprechend abgelenkt ist. Bei mir ist das so … bei mir ist das ähnlich, wie wenn ich beim Autofahren die Landschaft beobachte, meinen Gedanken nachhänge und nebenher Musik aus dem Klassik Radio höre – plötzlich ist alles Klang und ich bin mitten drin, nur wegen dieser einen Tonfolge aus Beethovens viertem Klavierkonzert, gespielt von Clifford Curzon unter dem Dirigat von Rafael Kubelik. Auf so alltägliche Art kann sich Musik auf der ganzen Linie meiner Wahrnehmung durchsetzen und zur unausweichlichen Herausforderung werden. Ich fahre also auf den Pannenstreifen, um das Konzert oder wenigstens diesen Satz daraus zu Ende zu hören. Erst dann kann’s weitergehn.
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