AN FJODOR MICHAILOWITSCH DOSTOJEWSKI –
ZU SEINEM GEBURTSTAG
Warum bewegt uns eine Brücke
aus fremdem Stein; warum brennt
der Schlamm – fast ein Nichts und Schnee –
eines meilen- und tageweit verlorenen Dorfes
hier so sehr; und durchfährt uns die höllische
Sarabande des Fürsten und seiner Marionetten
– Nebel seltsamen Nebels, nur Nebel –
mit seinem Tropfen Eis
des Nichtseins; und klappert der Narr,
pluderbehost und selbstherrlich,
tot vor Lachen, leichenblaß,
mit den Kastagnetten unserer Zähne;
warum ist das Berühren der Lider
eines sterbenden Kindes
– im Fieberschauer – so sehr schrecklich,
als wär’s das eigene; und überzeugt uns die Güte,
die zunichte wird in Fallen,
den Mund verzogen, spöttisch,
plötzlich wie die Sonne, wenn alles
herkommt durch das, was anders ist,
selbst anders ist die Erde und das Wort
und das Keuchen, alles unterschiedlich; wie
wäre dies möglich, wenn nicht
unser wäre sein gewaltiges Herz und wir alle
gemeinsam in ihm nicht schon wären
der Mensch.
Übertragen von Hans-Otto Dill
Eliseo Diegos Dichtung enttäuscht die Erwartung von Lesern, die mit kubanischen Autoren die Vorstellung üppig wuchernder tropischer Vegetation, brütender Hitze, endloser Regenfälle, afroamerikanischer Trommelrhythmen und magischer Rituale assoziieren. Die barocke Stadtlandschaft Havannas erscheint in einem anderen Licht als in den Romanen Alejo Carpentiers und José Lezama Limas und in einer anderen Perspektive. Diktatur und Abhängigkeit von den USA, die Feldzüge der Rebellenarmee und die revolutionären Umgestaltungen im neuen Kuba, in dieser oder jener Form von Nicolás Guillén, Miguel Barnet, Onelio Jorge Cardoso, Lisandro Otero, José Soler Puig, Manuel Pereira oder Manuel Cofiño López thematisiert, spiegeln sich selten direkt in Diegos Gedichten. All das ist in seiner Lyrik zwar enthalten, aber unaufdringlich, subtil, unter der Oberfläche verborgen.
Seine Sensibilität, die ihn zu den ihm eigenen Themen und Gestaltungsmitteln greifen läßt, erklärt sich aus seiner persönlichen Entwicklung. 1920 in Havanna geboren als Sohn eines Antiquitätenhändlers, litt er zunächst weniger unter den sozialen Gegensätzen als vielmehr unter dem durch Abhängigkeit und Rückständigkeit verschärften Widerspruch zwischen bürgerlich-kapitalistischer Gesellschaft und Literatur, für die er schon frühzeitig eine tiefe Neigung hegte. Gemeinsam mit José Lezama Lima, Cintio Vitier, Fina García Marruz und Octavio Smith bildete er die Dichtervereinigung Orígenes, die die gleichnamige Zeitschrift herausgab (1944–1956). Trotz außergewöhnlicher Begabung war Diego nur einer kleinen intellektuellen Elite bekannt. In Kuba gab es nur wenige kunstbedürftige und zahlungskräftige Leser, die Oligarchie zog leicht konsumierbaren materiellen Luxus den mühevollen Genüssen der Dichtung vor; die Masse der Bevölkerung dagegen war arm und bestand zu einem guten Teil aus Analphabeten und Halbanalphabeten. Folgerichtig gab es auch keine nennenswerten Verlage.
Eliseo Diego konnte sich daher nur nebenbei der Schriftstellerei widmen und ergriff gezwungenermaßen einen Brotberuf. Ein ungeliebtes Jurastudium brach er nach zwei Jahren ab und arbeitete dann als Englischlehrer, später als Inspektor für den Englischunterricht im Erziehungsministerium. Zeit zum Schreiben und Publikationsmöglichkeiten hatte er kaum.
Ein zweiter Widerspruch tat sich auf zwischen den moralischen Normen des praktizierenden Katholiken Eliseo Diego und den wirklichen, auf Korruption, Konkurrenzstreben und gegenseitigen Betrug basierenden, die zwischenmenschlichen und familiären Beziehungen zerstörenden Verhaltensweisen in der kubanischen Gesellschaft. Die „reine“ Dichtung der Origenes-Gruppe sollte moralisch sauber und aufrichtig sein in dieser korrumpierten Welt, die deshalb nur sehr selten widergespiegelt wurde. Diego spricht von der „diabolischen Farce der vierziger Jahre… wo der Professor ein Krämer, der Politiker ein Dieb, der Regierende eine Marionette und die Nation selber eine Tragikomödie war“. Und „wir jungen Leute, die wir uns damals um das unerbittliche Streben José Lezama Limas nach künstlerischer Reinheit scharten, taten dies mit der fanatischen Entschlossenheit, endlich etwas zu schaffen, was auch wirklich das war, was es zu sein vorgab“.
Nach dem Sieg der Revolution wurde er Leiter der Abteilung Kinderliteratur in der Nationalbibliothek und Direktor für Öffentlichkeitsarbeit des Schriftstellerverbands. Heute ist er Redakteur der UNION, der Verbandszeitschrift, und verfügt über die Zeit und über die Mittel zum Schreiben. Auf den schon 1948 erschienenen Band Die Calzada de Jesús del Monte folgten unter anderem: Das dunkle Leuchten (1966), Musterschau der Welt oder Buch von den Wundern Bolognas (1968), Versionen (1970), Die Dinge benennen (1973), Die Tage deines Lebens (1977), Durch meinen Spiegel (1981), Inventar der Wunder (1982). Ohne die Gründung von Verlagen, den Bau von Druckereien, die Beseitigung von Analphabetentum und Halbanalphabetentum, ohne die Hebung des materiellen und des kulturellen Lebensniveaus der Bevölkerung, das heißt ohne die Heranbildung vom Lesern wäre Diego in seiner Heimat kaum als Poet bekannt geworden. Mit Artikeln und Kritiken, mit Vorträgen, Lesungen und Diskussionen in Schulen, Betrieben und Kasernen wirkte er mit an der Popularisierung von Literatur. Aber nicht nur um des persönlichen Erfolgs willen unterstützt er die Revolution. Und auch nicht nur, weil nun künstlerisch-literarische Bedürfnisse in der Bevölkerung geweckt und befriedigt werden. Sondern weil sie Hunger und Elend beseitigte, soziale Gerechtigkeit verwirklichte, die Bedingungen schuf für wahrhaft menschliche Beziehungen und dem einzelnen allseitige Entwicklung ermöglicht.
Diese Haltung wurzelt in seinem christlichen Ethos. Seine Vorbilder sind Augustinus, Franz von Assisi, der kolumbianische Guerrillero und Priester Camilo Torres, der sandinistische Priester und Kulturminister, der Poet Ernesto Cardenal. Er verabscheut „Christen mit fetter Seele, die zur Messe gehen, aber dem Sohn des Zimmermanns ihren Tisch verweigern“. Er bezeichnet es als tragisches Paradoxon, „daß viele, die nicht an Christus glauben, ihm wegen dreißig Silberlingen folgen, während andere sich von ihm entfernen, um die Hungrigen zu speisen… Gerade wegen meines Glaubens habe ich mein Los mit denen verbunden, die sich in meinem Land ganz dem Dienst am Menschen widmen und die den Durst nach Gerechtigkeit stillen.“
Im Vorwort zu seinen Erzählungen wiederholt er das Bekenntnis von Cervantes, wonach er sich, falls seine Werke dem Leser böse Gedanken oder Wünsche eingeben sollten, eher die Hände, mit denen er sie schrieb, abhacken würde, als sie dem Publikum zu überantworten. Er betrachtet sich als Handwerker, der schöne und zugleich nützliche geistige Dinge für den Lesergebrauch herstellt:
Ich habe mein Leben lang mit Worten gearbeitet, und ich bedaure es nicht, noch schäme ich mich dafür, denn Wörter sind nichts anderes als ein Material wie Holz oder Eisen, und mit Wörtern, Holz oder Eisen kann man dem Menschen dienen und die Welt durch Schönheit bereichern. Meine Aufgabe ist es, mit geduldiger Aufmerksamkeit das auszuspähen, was in jedem Ding enthalten ist, und es mir mit List und Liebe anzueignen, um es, so wie man ein Junges aus einem zerstörten Nest in ein anderes, sicheres trägt, aus der vergänglichen Zeit in das bleibende Wort zu überführen. Auf diese Weise helfe ich den Meinen. Auszuteilen, was mir nicht gehört – welcher Ruhm kann darin liegen, wenn nicht der, es den anderen zu zeigen, denn mein Genuß wäre unvollkommen, teilte ich ihn nicht mit den anderen.
Was gibt er an die Mitmenschen weiter? Zunächst seine eigenen Erfahrungen, Erkenntnisse, Wertungen; Wahrnehmungen, Motivationen, Leiden, Freuden, Genüsse: die Struktur seiner Persönlichkeit. Und da sich diese in der Zeit entwickelt, bilden die verschiedenen Lebensalter mit ihren unterschiedlichen Lebens- und Persönlichkeitsqualitäten den Mittelpunkt seines Schaffens.
Die Kindheit mit den entsprechenden Erlebnisbereichen (Elternhaus, Spielplatz, Jahrmarkt, Zirkus) ist für ihn nicht nur eine Etappe, sondern das „verlorene Paradies“. Dies ist symbolisch zu nehmen: Kindheit meint Frische, Naivität, Unverbrauchtheit und ist übertragbar auf Erwachsene, die sich solches erhalten haben, und selbst auf das „junge Licht“ – die Kuba überflutende Morgensonne. Kindheit assoziiert auch Phantasie, Fabulierfreude und die Fähigkeit, sich zu wundern, die manchem Erwachsenen abhanden kam. Diego wendet sich dagegen, die Erwachsenen als die eigentlichen Menschen zu betrachten. Erinnerung an seine Kindheit ist nicht Flucht vor der Gegenwart, sondern Behauptung des Selbstwertes der Kindheit und Plädoyer für das Schützen oder Rückgewinnen jener kostbaren Eigenschaften. Die Zeit der Jugend bewahrt, in Gedichten auf junge Mädchen zumal, ihren vergänglich-unwiederholbaren Zauber, sie ist jedoch auch Zeit der Suche, der Versuchung, der Widersprüchlichkeit und Unentschiedenheit und insofern für Eliseo Diego ein Inferno.
In den späten Gedichten beschäftigt ihn zunehmend das eigene Alter: Sein Gesicht im Spiegel – ein tradierter Gegenstand in Malerei und Dichtung – kündet mitleidlos vom nahen Verfall. Zu den existentiellen Fragen, die der reife Diego ständig behandelt, gehört der Tod. „Allmählich wird es für mich Zeit, mich in den Höflichkeitsformen des letzten Abschieds zu üben“, sagte er 1972. Von daher der elegische Ton mancher Gedichte. Aus ihnen spricht weder Wehklage noch Todesverachtung, eher die bange Überlegung, wie man sich auf menschlich würdige Art diesem Problem stellt. In dem Zusammenhang meditiert er oft über die Zeit: über die Lebenszeit und ihre rechte Nutzung, über die historische Zeit und über die Gleichzeitigkeit. Zeit ist das wichtigste Erbgut, das er in seinem „Testament“ den Nachkommenden hinterläßt.
Darüber hinaus reflektiert Diego durchgängig seine Beziehungen zu den Mitmenschen, in erster Linie zur Familie. (Leidenschaftlich-sinnliche Liebesgedichte in der Art, wie Neruda oder Guillén sie schrieben, fehlen fast ganz.) Die Moralität innerhalb der Familie ist ihm Maßstab für menschIich-solidarische Bindungen überhaupt. Er predigt indessen keine kleinbürgerliche Idylle. Bande werden geknüpft zum unbekannten anderen, er fragt nach dessen Wesen, seiner Individualität, seinen Wünschen und Ängsten.
In einzelnen Gedichten verläßt er zeitlich und geographisch die nähere Umgebung und wendet sich der Antike, der Geschichte Kubas, der Entdeckung Amerikas zu (die Tat des Kolumbus erscheint zugleich als Tat der dichterischen Phantasie). Gedichte über Che Guevara und Sandino bezeugen, daß auch sein solidarisches Interesse nicht an den Grenzen Kubas haltmacht. Da ist Erstaunen und Erschrecken über Unmenschlichkeit in Vergangenheit und Gegenwart, wobei Diego es nicht bei moralischer Entrüstung bewenden läßt, sondern die Gier nach Geld und Macht für Inhumanität als verantwortlich erklärt.
Charakteristisch für Diego ist ebenfalls, daß er sich und den Leser in Beziehung setzt zu den kleinen Dingen, die den Menschen umgeben, die von ihm wahrgenommen, genutzt werden: Häuser, Möbel, Bücher; Licht und Schatten, Farben und Formen sowie Katzen, deren würdevolles, rätselhaftes Benehmen ihn immer wieder fasziniert. Diese im Alltag kaum besonders beachteten Gegenstände und Wesen verdienen unsere Aufmerksamkeit und unser Interesse, meint der Dichter. Er verniedlicht sie jedoch nicht. Wir sollten vielmehr unsere Wahrnehmungsfähigkeit schärfen, um in unserer Umgebung heimisch zu sein und mit ihr in Harmonie zu leben. Eliseo Diegos Dichtung ist Einheit von unmittelbarem Erleben, sinnlicher Anschauung, emotionaler Betroffenheit und gedanklicher Vertiefung. Vermittlung von Sensibilität für die geistig-menschliche und für die materiell-gegenständliche Umwelt an den Leser, das ist eine der wesentlichen Motivationen seines Schaffens.
Vielleicht bringt es die weitgehende Beschränkung auf den persönlich-unmittelbaren Erfahrungsbereich mit sich, daß häufig gleiche oder ähnliche Gegenstände auftauchen: Elefanten, Katzen, Trapezkünstler, Gemälde. Es ist keine bloße Wiederholung: der Dichter stellt entweder andere Aspekte desselben Sujets heraus, oder die Beziehung des lyrischen Ichs zum Gegenstand hat sich gewandelt. Der Autor geht also weniger in die Breite als vielmehr in die Tiefe und gewinnt an Intensität. Seine Gedichte, oft im Gesprächston gehalten, scheinen einfach; aber der Schein trügt. Sie sind Ergebnis harter Arbeit am Text und souveräner Beherrschung der von der Weltliteratur ererbten Gestaltungsmittel. Den Großen aus der spanischen Tradition (Cervantes, Lope de Vega, Juan Ramón Jiménez) und dem lateinamerikanischen Erbe (José Martí, Rubén Darío) sowie den angelsächsischen Meistern ist er ebenso verpflichtet wie der deutschen Romantik und der russischen Literatur. Zur intimeren Kenntnis dieser Literaturen verhalf ihm auch seine Tätigkeit als Übersetzer und Nachdichter von Puschkin, Petöfi und Johannes R. Becher.
Eliseo Diego, dem anfangs die Lyrik wegen der „wilden Metaphorik“ seiner Zeitgenossen Neruda, Vallejo und Lezama Lima unerreichbar schien, versuchte sich zunächst im erzählenden Genre, dem er bis heute treu blieb. Es sind poetische Erzählungen oder besser: Erzählungen eines Poeten, in Erzählstruktur gebrachte Gedichte. Da seine Verse statische Momentaufnahmen seien, verlocke es ihn immer wieder, sie in die dynamische Bewegung des Erzählens zu bringen. „Nur Spiel“ und „Der Mann mit den Goldzähnen“ sind narrative Umsetzungen volksliedhafter Lyrik. Teils sind es Kunstmärchen in der Nachfolge von Hans-Christian Andersen (den er, wie auch die Gebrüder Grimm, ins Spanische übertrug) oder von Lezama Lima; teils phantastische Erzählungen in der Art Poes, Stevensons, Carrolls und des Argentiniers Luis Borges. Am wichtigsten ist vielleicht „Der Rattenfänger“, eine parabolische Darstellung von Manipulation, Massensuggestion, Terror und Faschismus, die als das Unheil enthüllt werden, das von Menschen erdacht wurde und daher von mutigen und engagierten Menschen abgewendet werden kann, Diego vermeidet es meistens, Pointen zu setzen. Seine Prosastücke sind auf kuriose Weise unabgeschlossen. Es bleibt ein unauflöslicher geheimnisvoller Rest, der zum Enträtseln, zum Nachsinnen und Nach-Denken auffordert. Damit verweisen sie den Leser von den märchenhaft-phantastischen Geschehnissen auf seine wirkliche Welt.
Hans-Otto Dill, Nachwort, Dezember 1983
In meinem Spiegel ist auf dem DDR-Büchermarkt die erste eigenständige Publikation Eliseo Diegos, eines der führenden Literaten Kubas. Übersetzungen in mehr als sieben Sprachen haben seinen internationalen Ruf begründet. 1920 in Havanna geboren, entwickelte Diego frühzeitig literarische Neigungen und schloß sich dem Dichterkreis um die Zeitschrift Origenes (1944–1956) an. Gemeinsam mit José Lezama Lima, Cintio Vitier und anderen begab er sich damals schon auf die Suche nach neuen künstlerischen Ausdrucksmitteln für das Besondere kubanischer wie auch lateinamerikanischer Wirklichkeitssicht und Lebensart.
Der vorliegende Band aus der Reihe Edition Neue Texte des Aufbau-Verlages enthält Werke aus verschiedenen Lebensetappen des Autors. Die gefühlsintensiven, subtilen und zutiefst humanistischen Dichtungen und Prosastücke stellen für den Leser eine anregende Herausforderung seiner emotionalen und intellektuellen Fähigkeiten dar. Der Sinngehalt der scheinbar einfachen Texte liegt nicht an der Oberfläche, sondern erschließt sich erst über die ästhetische Aneignung. Diego will die Sensibilität des Lesers schärfen, ihn in ein harmonisches Verhältnis zu sich selbst und zur natürlichen und gesellschaftlichen Umwelt führen. Dieses ideale Denken wurzelt in einem christlichen Ethos, das nach dem Beispiel Ernesto Cardenals den Dienst am Menschen, seine Befreiung von Unterdrückung und Ausbeutung als höchste Aufgabe begreift.
Wohl auch deshalb beschäftigt ihn immer wieder die Begrenztheit des irdischen Seins in der Unendlichkeit des weltlichen Universums. Statt sich resignativen Stimmungen auszuliefern, fordert seine Dichtung schöpferisches, tätiges, mit allen Sinnen genossenes Leben. Die Zeit als zentrale Kategorie seines künstlerischen Schaffens beschwört in allen ihren Dimensionen die Frage nach ihrer rechten Nutzung für die Entfaltung menschlicher Wesenskräfte herauf.
Auf diese Weise, nicht durch direkte Widerspiegelung aktueller Ereignisse, wird die soziale Umgestaltung im neuen Kuba für Eliseo Diego zu einem wichtigen Thema ästhetischer Wirklichkeitsaneignung. Doch nicht nur als Literat, auch als unermüdlicher Propagandist sozialistischer Kulturpolitik zeigt der Autor seine innige Verbundenheit mit der kubanischen Revolution.
Birte Männel, Neues Deutschland, 8.6.1985
– Federico García Lorca und die Generation von 27. –
(…)
Gerardo Diego ist der Anthologe der Generation. In der von ihm 1932 in Madrid herausgegebenen Anthologie der modernen spanischen Lyrik wurde die neue spanische Dichtung in ihren besten Repräsentanten vorgestellt. Wie Lorca war er ein vorzüglicher Pianist und brillanter Redner. Diego ist es, der während der Feierlichkeiten zum 300. Todestag Luis de Góngoras die Fäden in der Hand hält, die Werke Góngoras in kommentierten Ausgaben herausgibt und in seiner Zeitschrift Carmen den Aufbruch der Generation im Zeichen Góngoras dokumentiert.
Als Dichter trat Diego zunächst mit avantgardistischer Lyrik hervor, die zugleich auch der Tradition verpflichtet blieb. Der „Renaissancepalast“ steht neben dem „Wolkenkratzer“, schreibt 1923 ein Kritiker über Diegos Erstveröffentlichungen. Im Gedicht „Angelus“ lesen wir:
Rittlings auf der Schaukel
döst der Angelus
Es verstummen die Sterne und die Früchte
Und die verletzten Menschen
führen ihren Springquell spazieren
wie lyrische Delphine…
Später ist es nicht zuletzt Diego, der dem Sonett in der spanischen modernen Dichtung seinen Platz zurückerobert.
Was dich in Raumhaft hält und bannt so schwer
und dich mir raubt, sind Schlüssel ganz aus Schaum.
Eis, Luftkristall auf jedem Blatt. Nein, kaum
dringt meiner Vögel Schwinge zu dir her.
(Aus: „Insomnio“, „Schlaflos“)
Axel Helbig, Ostragehege, Heft 13, 1998
Eliseo Diego – Filmdokumentation Auf dem Vormarsch.
Schreibe einen Kommentar