Selbsttätige Dichtung
Teil 3 siehe hier …
Zu reden ist von einem dichterischen Neoprimitivismus, der bei Picasso, Chagall, Schewtschenko, dem frühen Kandinsky und auch in Malewitschs eigener figurativer Malerei seine bildnerische Entsprechung findet. Primitivistische Poesie ist vorab auf Hören und Sehen, also nicht auf Lektüre angelegt, somit auf die sinnliche Wahrnehmung von Melodik und Rhythmus oder (falls sie in Textform vorliegt) von Schriftzeichen. Im Vordergrund steht ihre Sprachlichkeit und nicht wie üblich die aussersprachliche Bedeutung. Das Wort funktioniert «als solches», der Buchstabe «als solcher», sei’s in Lautgestalt oder in Schriftgestalt.
Malewitsch geht von der Prämisse (genauer: von der Behauptung) aus, jeder konventionelle Sprachgebrauch sei entweder lügenhaft oder verfehle den gemeinten Gegenstand beziehungsweise Sachverhalt. Zu sagen, dass man Schmerz empfinde («tut weh!», «ich leide!»), könne den aktuellen Schmerz niemals adäquat vergegenwärtigen, derweil der Aufschrei «Au!» oder der Seufzer «ach!» die jeweilige Schmerzerfahrung authentisch wiedergebe. Seufzer, Aufschrei werden hier als spontane («primitive») Körperregungen gegen jede dichterische Rhetorik stark gemacht.
… Fortsetzung hier …
© Felix Philipp Ingold & Planetlyrik
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