In diesen Tagen, da auf der Biennale, der Documenta, der Art Basel die Weltkunst floriert und verkauft wird, da kiloweise Verlagskataloge für den Herbst ins Haus kommen, da die Sommerfestivals angekündigt werden – stelle ich fest, dass ich so gut wie nichts davon mehr brauche; und schon kommt ein jäher Horror auf beim Gedanken, dass eigentlich nur noch das, was man selber macht und verantwortet, von irgendeinem Interesse ist; dass das Interesse am Machen längst rezenter ist als das am Gemachten. Furchtbar doch! Aber wenn ich bei den Zeitgenossen nicht mehr die Romane, Theaterstücke, Filme, Gedichte finde, die mich etwas angehn und mit denen ich etwas anfangen kann, weil sie mich zum Weitertun bewegen, kann ich ja doch, frei nach Belieben, zurückgreifen auf die Alten. Für mich jedenfalls liegt die Aktualität (oder einfach das, was mich anspricht) eher bei Homer und Shakespeare und Montaigne, bei Musil oder Char als bei dem, was ich hier und heute als «aktuell» vorgeführt bekomme. So entsteht denn in der kleinen Welt, die ich bewohne, der Eindruck und auch die Befürchtung, dass etwas – nämlich fast alles in Natur und Kultur – zum Ende geht, und nicht etwa bloss vorübergehend aus der Mode kommt. Kommt vielleicht, stattdessen, etwas andres, von dem ich nichts weiss, das man sich noch gar nicht vorstellen kann? Zum Beispiel eine Welt, ob überwärmt und überschwemmt (oder auch nicht), ohne Menschen. Und wir – die Gewesenen! Der Mensch als Fossil, wir als Düngstoff für eine kommende heilere Welt? Zum Weinen? Zum Lachen? Wer’s erhellt! Wen’s erheitert!
aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern
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