Jörg Piringer: günstige intelligenz

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Jörg Piringer: günstige intelligenz

Piringer/Piringer-günstige intelligenz

DIE ZUKUNFT DER LITERARISCHEN INTELLIGENZEN

die literatur teilt sich in bio- und industrie-literatur
die von menschen gemachte literatur wird in speziellen bio-
buchhandlungen verkauft
in bibliophilen ausgaben für kenner
und reiche
arme leute können sich nur die maschinenliteratur leisten
im ebook-format
massenware aber billig

jeder mensch kann schriftstellerin werden
dazu ist nur die erwerbung einer benutzungslizenz für die poesieintelligenz
notwendig

nach einem weltweiten aufstand von schreibenden
werden literarische neuronale netze verboten
literatur darf nur mehr von menschen gemacht werden
puristen schreiben sogar ausschliesslich mit der hand
und lassen ihre bücher mit bleisatz drucken

poetinnen dirigieren fortan nur mehr schreibsoftware
die die mühselige arbeit des formulierens übernimmt

autorinnen benutzen literatursoftware
die ihnen ki-unterstützt
vorschläge macht
hinweise gibt
anregungen
literatur entsteht als zusammenarbeit von mensch und maschine

aus mitleid mit den darbenden schriftstellerinnen
und aus rationalisierungsgründen
wird menschliche literatur verboten
literatur darf nur mehr von maschinen erzeugt werden
menschengemachte poesie wird im untergrund auf
handgeschriebenen zetteln verteilt

es ändert sich gar nichts
die literatur bleibt so wie sie ist

maschinenpoesie wird durch technischen fortschritt immer
besser
im jahr 2035 gewinnt eine künstliche intelligenz den
literaturnobelpreis
kein mensch will mehr menschliche literatur lesen
schreiben wird unpopulär
der autorinnenberuf stirbt aus

eine schriftstellerinnenterroristinnengruppe
führt in synchronen aktionen
anschläge gegen die wichtigsten datenzentren aus
und vernichtet gleichzeitig alle backups der
schreibsoftwaresysteme
die firmen melden konkurs an
die forschung zur künstlichen intelligenz wird um jahre
zurückgeworfen

ein asteroid trifft die erde
und löscht die menschheit aus
die literarischen künstlichen intelligenzen schreiben das finale
requiem für die menschheit
das grossartigste werk der literaturgeschichte

künstliche intelligenz wird zunehmend als langweilig empfunden
niemand verwendet sie mehr
der kapitalismus wird abgeschafft
rationalisierung um jeden preis wird verpönt
grosse neuronale netze werden wegen des enormen
resourcenverbrauchs eingestellt

eine unglaublich raffinierte schadsoftware
löscht alle neuronalen netze des planeten
inklusive der backups
sowie der forschungspublikationen zum thema

da immer mehr texte maschinell erzeugt werden
lernen die systeme
in immer grösserem ausmass von ihren eigenen texten
dadurch werden die künstlichen intelligenzen immer dümmer
und banaler
als sie schliesslich nur mehr gebrabbel ausgeben
wird die forschung aufgegeben

es ändert sich wenig
die literatur bleibt fast so langweilig wie sie ist

bücher können
individualisiert werden
charaktere nach den wünschen der leserinnen gestaltet
kein buchexemplar gleicht dem anderen
leserinnen selbst im buch vorkommen
narzismus für alle

alle menschen bekommen einen literaturchip eingepflanzt
der ihnen hilft
texte zu formulieren
jemand erfindet eine zeitmaschine
und tötet teuvo kalevi kohonen
der essentielle forschung im bereich der neuronalen netze
anstellte
dadurch werden funktionsfähige künstliche intelligenzen erst 50
jahre später erfunden

ein system zur analyse von hölderlin-gedichten
transzendiert sich selbst
und reisst die weltherrschaft an sich
fortan dürfen nur mehr texte geschrieben werden
die im stil hölderlins verfasst sind
das gilt sowohl für von maschinen
als auch von menschen verfasste texte

maschinell hergestellte poesie
muss zukünftig mit einem warnhinweis versehen werden
manche buchhandlungen richten eigene abteilungen dafür ein
andere nehmen sie aus dem programm

softwareliteratur wird über die jahre
immer komplexer
immer diffiziler
und immer unverständlicher
literaturkritik-kis werden geschaffen
die die maschinenerzeugnisse bewerten und einordnen
eigene literaturpreise und -bewerbe für maschinen sind die folge

literarische maschinen rotten die menschheit aus

wegen einer pandemie brechen die lieferketten für
computerchips zusammen
es können keine neuen maschinen gebaut werden
die alten werden langsam kaputt
das bedeutet das ende aller künstlichen intelligenzen

ein neuronales netz erlangt die erleuchtung
es verfasst fortan nur mehr koans
andere künstliche intelligenzen folgen
sie gehen ins datennirvana ein
maschinenkloster werden gegründet

 

 

 

 

Jörg Piringer investierte 5,60 Euro

in einen Online-Dienst, um die Leistungsfähigkeit des neuronalen Netzwerks generative pretrained transformer 3 auf die Probe zu stellen. Gedichte nach bestimmten Vorgaben oder Transformationen eines vorgegebenen Gedichts in einen Gesetzestext, einen Wikipedia-Artikel, in einen Glückskeksspruch oder in einen Donald-Trump-Tweet u.a.m. bezeugen die Stilsicherheit der Künstlichen Intelligenz, die Piringer schließlich auch selbst einem Intelligenztest unterzieht.
Pointiert bespricht Piringer die Inselbegabung der Maschine, Probleme des immensen technischen und ökonomischen Aufwands beim Trainieren von Neuronalen Netzwerken oder die tiefgreifenden sozialen Implikationen der KI-Poesie für den Autor als Redakteur und „Mausklicker“.
Jörg Piringers günstige intelligenz ist ein geistreicher und unterhaltsamer Zwischenbericht über den Stand computerfabrizierter Dichtung heute.

Ritter Verlag, Klappentext, 2023

 

 

 

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Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Günter Vallaster Interview mit Jörg Piringer: Günstige Intelligenz: Poesie und KI
poesiegalerie.at, 20.12.2022

Klaus Ebner: Intelligenz auf dem Prüfstand
poesiegalerie.at, 11.1.2023

David Westphal: Neugelesen – Folge 58: „günstige intelligenz“ von Jörg Piringer
dasgedichtblog.de, 15.4.2024

Helmut Neundlinger: Automatisch dichten
tagebuch.at

David Westphal Interview mit Jörg Piringer über seinen Gedichtband über künstliche Intelligenz
lora924.de, 12.4.2024

Kerstin Preiwuß: Jörg Piringer: günstige intelligenz. hybride poetik und poetologie
lyrik-empfehlungen.de, 2023

 

Jörg Priringer liest Passagen aus „schreiben“, „feinstaubbelastung“ und „die zukunft der literarischen intelligenzen“ aus günstige intelligenz. hybride poetik und poetologie

 

 

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + Instagram 1 & 2 + Facebook + YouTube 1 & 2

 

Jörg Piringer: klangfarben des zufalls.

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