SPRICHWÖRTER, REDEWEISEN
vom mais
feld der alte mähdrescher
unterm schuppen wie schuppen
von den augen
fällt das abgesprengte gras
unterm regen sich regen
bringt segen / bleibt
knochentiefer das dächtnis stecken
im gesumpf im gerumpf nur
welche farbe hatte
das messer wirklich
der wind der mittag was
nicht zu halten
= fallen, jetzt fällen & fallen
dem winter jetzt
die äugelein zu, mais-
mächtiger herbst
packt José F. A. Oliver, „wort & welt im ohr“, seinen „rucksack“ aus. Sanfte Erdbeben mit jedem Wort. Wie in einem Ruck lässt der „nomadische Heimatdichter“ (Ilija Trojanow) alle Zeichen aus dem Sack, um sie wundgemäß neu zu setzen. Mit „wundgewähr“: wahrhaft, unverstellt, sachgemäß. Wo es doch darum geht, auf den poetischen Fährten, die sich in jedem Wort auftun, den kontinuierlichen Widersprüchlichkeiten am Leben nachzuspüren. Schreiben mit „messer & gabel & schere & licht“. Nach Belieben ist Oliver das Kind, das mit den Sprachen spielt. Er stibitzt sie, wie das Kind die ihm verwehrten Instrumente. Aber Oliver lässt die Sprachen nicht feiern, er gibt sich keinen Sprachspielen hin, er macht aus ihnen lauter Spielsprachen. Bald humorvoll, bald zornig, auch ironisch, mitunter bitter und oft ohnmächtig, zuweilen mit „m:acht“ und immer mit Bedacht verleiht er den Wörtern „weltbiss“, um „die welt mit sätzen zu verbessern“ und in Gegenwart des Todes „die niederkunft der wundgewähr / aus welken & w:erden“ zu verkünden.
Matthes & Seitz Berlin, Klappentext, 2018
– Wider den verschlafenen Zeitgeist: Die junge Poesie rüttelt auf und ringt um Alternativität. –
Weltferne Sprachspielerei oder gar Elfenbeinturmdasein kann man der Lyrik dieses Frühjahrs nicht zuschreiben. Im Gegenteil: Selten zuvor waren Poeten so politisch und selbstbewusst wie in diesen Tagen. Was sie vor Augen führen, sind nicht mehr und nicht weniger als Machtstrukturen, die in der Sprache selbst verborgen liegen.
So zum Beispiel der spanischstämmige und im Schwarzwald wohnende Dichter José F.A. Oliver. Ohne dezidiert auf die Verwerfungen des postnationalen Zeitalters einzugehen, stellt er in seinem neuesten Band wundgewähr die verflachte Debatte um eine Leitkultur wortgewandt infrage:
So eigendeutsch ist meine dichtung
so eigen-
brotlerisch […] so eigen-du
so eigen
Wir
Den sprachlichen Besitzanspruch der rechten Deutschtümler, die behaupten, die von Goethe und Schiller geprägte Kultur sei ihnen zu „eigen“, verkehrt Oliver in das Bewusstsein um die „Eigenartigkeit“ jedes Einzelnen. Dem Einfachen stellt er das Prinzip der Mehrdeutigkeit gegenüber. „In einem böhmischen dorf geboren / abgeschottet / von einer spanischen wand“, weiß dieser spätmoderne Freiheitsdichter gekonnt althergebrachtes Separatismus- und Kolonialismusdenken lyrisch zu überwinden.
(…)
Gerrit Wunstmann: Safranfrühe Mondschattenlieder
signaturen-magazin.de
Klaus Hübner: … & 1 leser / b:leibt skep / tisch
literaturkritik.de, Juli 2018
Die Corona-Krise trifft die freischaffenden Künstler besonders schwer. Musiker haben keine Auftritte mehr, Ausstellungen werden verschoben und wer international tätig ist, kann derzeit nicht mehr reisen. Einkünfte haben die Künstler fast nicht mehr und auch der Alltag wird über den Haufen geworfen. Von Musikern über Literaten bis hin zu Malern hat das Kinzigtal eine große Künstlerszene. Der Schwabo befragt sie zu ihrer aktuellen Situation. José F.A. Oliver, Autor und Kurator des Hausacher Leselenz, berichtet im Interview von seinen Erfahrungen.
Lisa Kleinberger: Herr Oliver, Wie geht es Ihnen im Moment?
José F.A. Oliver: Seelisch bin ich ziemlich angeschlagen. Die seit Wochen andauernde Kontaktsperre ist grausam. Hinzu kommen in verstärktem Maße Existenzängste. Große berufliche Sorgen und die Furcht vor einem sozialen, wirtschaftlichen und politischen Desaster in unserer Gesellschaft. Wie rasant beispielsweise Freiheitsrechte eingeschränkt oder beschnitten werden können, ist erschreckend. Deshalb gilt umso mehr: Mundschutz ja, Maulkorb nein! Hinterfragende Kritik an den Maßnahmen ist äußerst wichtig und doch auch ein ständiger Ritt auf der Rasierklinge. Was ist richtig, was ist falsch? Die sogenannten „Hygiene-“ oder „Corona-Demos“ finde ich allerdings dreist und verantwortungslos. Wir alle müssen auf der Hut sein vor Selbstinszenierungsidiotie, Demagogensprech, Verschwörungserzählungen, zerstörerischem Populismus und rechts- oder linksextremer Ideologie. All das erzeugt nur Ausgrenzung. Letzten Endes Hass!
Kleinberger: Wie wirkt sich die Corona-Pandemie auf Ihr künstlerisches Wirken aus?
Oliver: Ich suche nach einer poetischen Sprache, die auch nur annähernd erfasst, was geschehen ist und was im Augenblick vor sich geht. Eine Sprache, die gleichzeitig auch perspektivisch sein will und muss, indem sie nicht nur wahrnimmt, sondern begreift und hoffentlich in ihrer Offenheit unser Gemeinwohl mitzugestalten vermag. In einem kontinuierlichen Dialog.
Kleinberger: Hat sich Ihre Arbeit oder Ihr Arbeitsbereich durch die aktuelle Situation geändert?
Oliver: Ja! Manche Essays, an denen ich bis Anfang März saß, konnte ich in der geplanten Zeit, in Form und Inhalt, wie ich es mir vorgestellt hatte, nicht mehr zu Ende schreiben. Ein „Weiter-so-wie-bisher“ ging nicht. Dafür sind Gedichte entstanden, die sich aufgemacht haben, ins Künftige unserer Gesellschaft(en) zu denken. Kurz gesagt: ich schreibe nicht über Corona, das sicher nicht. Aber: Corona schreibt in jeder Zeile mit.
Kleinberger: Wie wichtig ist das Schreiben für Sie gerade?
Oliver: Es ist ein Lebensmittel mehr und jeder Text zeigt sich vehement überlebenshungrig. Mein Schreiben hat nichts an Bedeutung eingebüßt. Im Gegenteil. Es ist (noch) kompromissloser geworden. Begriffe wie Anteilnahme, Verantwortung, Solidarität oder Gemeinschaftssinn erfahren von Tag zu Tag eine noch entschiedenere Dimension der Aufmerksamkeit. Nicht nur ins gesellschaftlich Große entworfen, sondern auch im Kleinen, im Alltäglichen.
Kleinberger: Was ist für Sie persönlich das Schlimmste in der aktuellen Situation?
Oliver: Selbstgerechtigkeit.
Kleinberger: Sie sind in engem Austausch mit der Politik. Haben Sie das Gefühl, dass auf der Ebene momentan genug für Künstler getan wird?
Oliver: In vielen Bereichen leider noch nicht in der Bedeutung, wie ich es mir wünschte. Aber das ist kein Vorwurf, sondern eine konstruktive Feststellung! Viele Menschen sind am Limit, auch unsere Politiker. Ich habe großen Respekt vor dem, was sie in diesen Wochen und Monaten gemeinsam mit der Verwaltung leisten. Gerade deshalb sind wir alle gefordert, die Weichen für die Zukunft mitzustellen. Ohne Schuldzuweisungen. Nachsichtig und vorausschauend.
Kleinberger: Was würden Sie sich von der Politik in dieser Hinsicht wünschen?
Oliver: Dass mehr Künstler in den beratenden Gremien auf allen Ebenen der Politik vertreten sind. So wie es einen Wissenschafts- oder Ethikrat und andere Sachverständigenräte auf Bundes- und Länderebene, teilweise auch auf städtischer Ebene gibt. Den „Fünf Wirtschaftsweisen“ gleich sollten auch die „Fünf Kulturweisen“ berufen und selbstkritisch von der Exekutive gehört werden.
Kleinberger: Durch den Leselenz sind Sie mit vielen Schriftstellerkollegen vernetzt. Wie ist die Stimmung?
Oliver: Sie werden auch unter den Kollegen alle Gemütslagen finden. Von der Schockstarre über eine akute Verzweiflung bis zur insgeheimen Hoffnung erlebe ich alle Facetten. Eins ist jedoch tröstend: das Bemühen vieler, wie in anderen Berufen auch, dass das (kulturelle) Leben als wunderbarer Fächer der Vielfalt nicht auf der Strecke bleibt.
Kleinberger: Sie deuteten bereits an, dass derzeit am Konzept „Leselenz 2.0“ gefeilt wird. Können digitale Angebote die persönliche Begegnung ersetzen?
Oliver: Niemals. Skype-Gespräche oder Zoom-Konferenzen schaffen keine berührbare Nähe. Eine Umarmung ist nicht ersetzbar. Die digitale Welt mag in mancher Hinsicht effektiv, effizient und nützlich und als Werkzeug unverzichtbar sein, birgt jedoch die große Gefahr weiterer Vereinzelung und Vereinsamung. Ein Maus-Klick ist kein Handschlag. Eine Maschine bleibt eine Maschine.
Kleinberger: Bietet die Krise Chancen – für Sie oder für die Literatur?
Oliver: Wir sind ja im Hölderlin-Jubiläums-Jahr. Wie schrieb er in seiner Hymne „Patmos“ so treffend: „Wo aber Gefahr ist, wächst / Das Rettende auch.“ Wir müssen unserem Zusammenleben gemeinsamere Wege im Sozialen, Ökonomischen, Ökologischen und Kulturellen bereiten. Dafür brauchen wir eine Sprache der Hoffnung, und Literatur öffnet unsere Sprache(n) ins Unvorstellbare und damit ins Mögliche.
Stefan Hölscher im Gespräch mit José F.A. Oliver am 30.12.2020 bei TEN-4-POETRTY
Marie T. Martin im Gespräch mit José F.A. Oliver „Alles Leben ist Peripherie und Zentrum zugleich“.
Sibel Kara im Gespräch mit José F.A. Oliver „Ich bin ein mehrkultureller Dichter.“
„Alles hat poetische Augenblicke“
Schwarzwälder Bote, 20.7.2021
Gespräch „Der Autor José F.A. Oliver ist als Sohn andalusischer Gastarbeiter im Schwarzwald aufgewachsen: Jetzt wird er mit dem Heinrich-Böll-Preis ausgezeichnet“
Südkurier: 20.7.2021
Ralf Burgmaier: Die Tür zu seinem Elfenbeinturm steht jedem offen
Badische Zeitung, 23.7.2021
In der Zwischenzeit: Poesie – mit José F.A. Oliver.
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