Björn Kuhligks Gedicht „Helikopterquartett mit Vertriebenenarie“

BJÖRN KUHLIGK

Helikopterquartett mit Vertriebenenarie

Unser Spielfeld heißt Afrika, wir wurden
nur Dritter, die Karawane zieht weiter
und was es wird, wenns fertig ist, da
geht der Sand drüber, auf den Asphalttrassen
hoch die Tassen, HIER BIN ICH MENSCH
HIER KAUF ICH EIN, hier bin ich
Fleisch, Teil und Anteil des Lösungsproblems
Mann und Frau gehn durch die Erd-Baracke
und fotografieren den Wald, hier brech ich
ein, linkes Bein, rechtes Bein, letzte
Meldung: Kanal voll, danke, das ist
das Ende, hier kauf ich ein

2008

aus: Björn Kuhligk: Die Oberfläche der Erde. Berlin Verlag, Berlin 2008

 

Konnotation

Was hier der Großstadtpoet Björn Kuhligk (geb. 1975) an verfremdeten und parodierten Zitaten zu einem schnoddrigen Remix collagiert hat, entstammt aus den unterschiedlichsten Text- und Musik-Gebieten: aus Goethes Faust („Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s sein“), einem frühen Gedicht Gottfried Benns („Mann und Frau gehen durch die Krebsbaracke“), einer fragwürdigen Redewendung („Die Hunde bellen, die Karawane zieht weiter“) und einem Musikstück des Avantgardisten Karl Heinz Stockhausen (Helikopter Quartett). Die Bezeichnungen, die im Titel als neue musikalische Formen annonciert sind, weisen den Text als Groteske aus – mit dynamischem Rhythmus.
Kuhligks herber Spott gilt einem konsumistischen Verständnis der Welt, die nur noch als Einkaufs- und Touristen-Paradies wahrgenommen wird. Mit leeren Phrasen bestimmt das lyrische Subjekt den eigenen Standort; die Sprüche, mit denen das Ich sich und sein Leben definiert, taugen allein zur lässigen Eroberung und Kolonisierung des „Spielfelds“. Es spricht ein durch mediale Überreizung verstümmeltes Bewusstsein.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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