DURS GRÜNBEIN
Den Teuren Toten
Ein Mann in Belgien ist von seinem treuen Hund
Erschossen worden auf der Fahrt zur Jagd
Wie eine Zeitung unter Kuriose Welt vermeldet.
Der Mann aus Belgien saß zuletzt in seinem Jeep
Am Steuer ahnungslos und auf der Rücksitzbank
Die Flinte neben sich, saß ahnungslos der Hund.
Wie immer schauten beide in die gleiche Richtung
Wo sich der Wald hinzog, – schweigsam der Mann,
Sein Jagdhund hechelnd, weil es schwül war, Sommer.
Es war der letzte Sommer für den Mann. Verschreckt
Vom holprigen Gelände sprang der Hund vom Sitz
Und löste einen Schuß aus, der sein Herrchen tötete.
Ach, beide Belgier könnten heut noch unterwegs sein,
Das ideale Paar, wenn nicht ein Schlagloch
Die Freundschaft dumpf zerrissen hätte. Schade.
1994
aus: Durs Grünbein: Den Teuren Toten. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1994
Als „sarkastisches Kind“ hat sich der Dichter Durs Grünbein (geb. 1962 in Dresden) einmal in einem kurzen Text beschrieben, das um die zivilisatorischen Katastrophen weiß, doch nicht vom Staunen lassen kann. Noch in kleinen Ausschnitten interessiert dieses sarkastische Kind das Epochen und Erdkreise überspannende Welttheater. So zum Beispiel in Grünbeins Den Teuren Toten, das 1994 erschien und 33 Epitaphe enthält, die anonyme Einzelschicksale aus verschiedenen Weltregionen bedichten.
„Kuriose Welt“ und „Schade“. In diesen beiden Ausrufen gipfelt das Schicksal des armen Belgiers und seines treuen Hundes und wird verkürzt auf eine aus einer Zeitung entnommenen Anekdote, die man sich vielleicht bei einem kurzen Gespräch erzählen würde. Verblüffend ist die Schlichtheit mit der Grünbein bei diesem Gedicht auskommt. Trotzdem verbirgt sich möglicherweise hinter dieser Einfachheit ein weltanschaulicher Überbau, wird doch dieses Einzelschicksal so beiläufig und lapidar erzählt, als spielte der Einzelne für Historie keine bedeutende Rolle.
Norbert Lange (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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