ERNST JANDL
kaltes gedicht
die schinke und das wurst
in kühlschrank drin
der schöne deutsche wort
in kühlschrank drin
das schönsten deutschen wort
die wört der deutschen schön
das wurst die schinke plus
kühl vodka von die russ
ca. 1995
aus: Ernst Jandl: poetische werke, hrsg. v. Klaus Siblewski, Luchterhand Literaturverlag, München 1997
„Die Rache / der Sprache / ist das Gedicht“: Dieses grimmige Bonmot erhob der Dichter und Sprachanarchist Ernst Jandl (1925–2000) zur ästhetischen Maxime seiner späten Gedichte. Tatsächlich sind diese späten Poeme oft bittere, quälende Sprach-Exerzitien, die sich gegen den Verfall des Körpers auflehnen und die Qualen der Leiblichkeit bis ins peinliche Detail hinein aufrufen.
Ab 1976 konzentrierte er sich auf Gedichte „in einer heruntergekommenen Sprache“, in denen die alten Ordnungen der Grammatik und der Syntax zersetzt werden. Motivisch rücken immer mehr die Nachtseiten der menschlichen Existenz in den Vordergrund: Eros und Sexualität, Geist und Körper, Religion und Kunst sind in ihrem Verfallsstadium zu besichtigen. Nur selten gestattete sich der Autor wie im „kalten gedicht“ noch jene heiteren Sprachspiele, die in hochkomischer Weise einfachste Dinge auflösen und die Zuordnungen der Wörter aufs Schönste verdrehen.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
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