FRANZ JOSEF CZERNIN
ja, ich bin fort zur zeit;
am land da ist das meer so fern,
und wo bist du denn hin?
am meer da ist das land so weit;
was wollen wir denn mehr?
die ferne ist am meer das land,
was wollen sie so sehr?
die weite ist am land das meer,
was will auch das denn noch?
das land der ferne ist ein meer,
das meer der weite ist ein land,
was ist denn da noch was.
nach 1983
aus: Poetische Sprachspiele. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Hrsg. von Peter Dencker. Reclam Verlag. Stuttgart 2002
Dem von der experimentellen Poesie wie von der Frühromantik gleichermaßen inspirierten Werk des österreichischen Dichters Franz Josef Czernin (geb. 1952) hat man oft eine asketische Bilderlosigkeit vorgehalten. Das ist ein fatales Missverständnis, denn wie kaum ein anderer Dichter folgt Czernin der strengen Utopie, die Elemente des Poetischen in beständiger Übersetzung, Variation und Verwandlung aller Sprachdimensionen zur Erscheinung zu bringen. Ein Gedicht aus seinem Frühwerk illustriert das am Beispiel des Verhältnisses von Land und Meer, Nähe und Ferne.
Land und Meer, Ferne und Weite werden hier ständig in neue Konstellationen zueinander gebracht. Im Wechselspiel dieser Konstellationen versucht das Ich seinen Ort zu finden, der freilich nicht als feste Position zu haben ist, sondern das Subjekt in immer neue Unsicherheiten bringt. So sind auch die Bezeichnungen der Sprache nie als stereotype (von griechisch „stereos“ = fest) Begriffsmarken zu gebrauchen, sondern nur in immer vorläufigen semantischen und grammatischen Kombinationen.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
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