FRIEDRICH HEBBEL
Abendgefühl
Friedlich bekämpfen
aaaaaNacht sich und Tag.
Wie das zu dämpfen,
aaaaaWie das zu lösen vermag!
Der mich bedrückte,
aaaaaSchläfst du schon, Schmerz?
Was mich beglückte,
aaaaaSage, was war’s doch, mein Herz?
Freude, wie Kummer,
aaaaaFühl’ ich, zerrann,
Aber den Schlummer
aaaaaFührten sie leise heran.
Und im Entschweben,
aaaaaImmer empor,
Kommt mir das Leben
aaaaaGanz, wie ein Schlummerlied vor.
1838
Den Gedichten des Dramatikers Friedrich Hebbel (1813–1863) haben seine Kritiker oft eine gedankliche Überladenheit unterstellt. Hebbel selbst nährte diesen Verdacht noch, indem er einige seiner Gedichte als „problematische Seelenzustände“ charakterisierte, „die sich nicht lyrisch, sondern nur epigrammatisch aussprechen lassen“. Selbst in seinen vier vollkommenen Gedichten, wie hier in den Kreuzreimen des 1838 entstandenen „Abendgefühls“, ist eine begriffliche Prägnanz am Werk, die in jeder Strophe ein markantes, oft gegensätzliches Substantiv-Paar aufbaut: Nacht-Tag, Schmerz-Herz, Freude-Kummer, Entschweben-Leben.
Die im deutschen Volkslied so beliebte vierzeilige Strophe mit dem Kreuzreim hat Hebbel zur lyrischen Einkreisung eines „Abendgefühls“ benutzt, das die schroffen Widersprüche und heftigen Emotionen des lyrischen Ich austariert und alles in einen Schwebezustand überführt, der die besänftigenden Wirkungen eines „Schlummerlieds“ hat.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
Schreibe einen Kommentar