GÜNTER EICH
Zu spät für Bescheidenheit
Wir hatten das Haus bestellt
und die Fenster verhängt,
hatten Vorräte genug in den Kellern,
Kohlen und Öl,
und zwischen Hautfalten
den Tod in Ampullen verborgen.
Durch den Türspalt sehn wir die Welt:
Einen geköpften Hahn,
der über den Hof rennt.
Er hat unsere Hoffnungen zertreten.
Wir hängen die Bettücher auf die Balkone
und ergeben uns.
1964
Aus: Günter Eich: Zu den Akten, Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1964
Als unbestrittener Meister der Kunstform Hörspiel und Repräsentant des poetischen „Kahlschlags“ wurde Günter Eich (1907–1972) nach dem zweiten Weltkrieg berühmt. Als Lyriker entzog er sich mehr und mehr dem öffentlichen Verlangen nach griffigen Botschaften und konzentrierte sich immer stärker auf einen grimmigen Lakonismus, der jedwede poetische Feierlichkeit konterkarierte.
Sein Gedichtband von 1964, in dem auch „Zu spät für Bescheidenheit“ erschien, zieht in mehrfacher Hinsicht einen Schlussstrich:
Zu den Akten. Das war als Absage an die zeitenthobene Naturlyrik gemeint und zugleich als Verweigerungsgeste gegenüber traditioneller Poesiesprache. In sachlicher Kühle hält sein Gedicht eine Szenerie fest, die Vorräte sind gehortet und selbst Mittel für einen Suizid bereitgestellt. Aber der Blick auf eine „geköpfte“, kopflose Welt lässt keinen anderen Weg als die nicht nur militärisch gemeinte Kapitulation.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006
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