HELGA M. NOVAK
gebrochenes Herz
gebrochenes Herz gebrochenes Holz
ist alles zu Windbruch gegangen
das Meer steigt aus seinem tiefen Bett
und wird uns Pilze Beeren versalzen
heimleuchtet uns der Phosphorsumpf
ausgebrannt giftige Batterien
steigendes Meer wie es sich verschluckt
an Schrottbergen
kein Pelzwerk wird sein gegen die Nässe
dem was kommt ist keine Lärche gewachsen
vielleicht wird Bernstein aus unserm Wald
wer wird ihn sammeln wer wird ihn tragen
was wir jetzt nicht schießen das Getier
ersäuft einst und erstickt im Morast
komm laß uns Pfahlbauten Hochstände bauen
Plattformen um den Untergang zu besichtigen
unsere Fangschüsse beim letzten Büchsenlicht
1989
aus: Helga M. Novak: solange noch Liebesbriefe eintreffen. Gesammelte Gedichte. Hrsg. v. R. Jorck, mit einem Nachwort v. E. Demski. Schöffling & Co., Frankfurt a.M. 1999
Die späten Gedichtbücher der aus Berlin in die polnischen Wälder emigrierten Dichterin Helga M. Novak (geb. 1935) sind aufgeladen von naturgeschichtlichen und mythologischen Faszinationen. Das lyrische Ich imaginiert eine nomadisierende Existenz zwischen „krummen geduckten Fährtenlesern“ und hungrigen Wildbeutern, die durch Sand und Moor oder durch bedrohlich labyrinthische Wälder geistern. All diese Figurationen eines wilden, undomestizierten Daseins sind literarische Stellvertreter der Autorin, die sich zeit ihres Lebens in keine poetische oder politische Norm hat fügen wollen.
Das „gebrochene Herz“ einer Liebenden korrespondiert hier mit einer apokalyptischen Phantasie. Die Vergiftung der Landschaft schreitet fort, der ökologische Kollaps der Natur ist nicht mehr aufzuhalten. In den Schlusszeilen riskiert die Autorin einen Regressionswunsch – die Rückkehr ins Vorzivilisatorische. Wem die Vorstellung vom Public Viewing des Untergangs auf Pfahlbauten zu idyllisch-eskapistisch geraten ist, dem gibt die letzte Zeile den Rest: Am Ende stehen finale „Fangschüsse“.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008
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