HENDRIK ROST
Defensive
Ein später Igel kam in den Garten, als Versteck
blieb ihm nur das vertraute Rund des Rückens,
das Laub war längst verbrannt, Früchte eingekocht,
das Jahr im Keller archiviert; wir wußten nicht,
ob er die Milch verträgt, die ihm schmeckt. In einer Kiste
im Keller träumte er sich schmaler, bald verschwunden
bis auf das Selbstverständliche, ein Häufchen Stacheln
zur Verteidigung. Wir hatten die Warnung im Warmen erhalten.
Zu schwach selbst für den Winter unter uns, starb er,
ausgezehrt im Schlaf, gegen Ende der kalten Zeiten.
2004/05
aus: Hendrik Rost: Im Atemweg des Passagiers. Wallstein Verlag, Göttingen 2006
Der 1969 geborene Lyriker Hendrik Rost gehört unter den Dichtern seiner Generation zu den zerebralen Typen, die keine naive lyrische Unmittelbarkeit mehr zulassen. Seine Gedichte verordnen sich zwar ein „schnurgerades Schauen“ auf die Dinge, reflektieren aber zugleich streng die Wahrnehmungsvoraussetzungen, unter denen dieses Schauen möglich ist. In seinen stärksten Texten drängt Rost jedes Kommentierbedürfnis zurück und vertraut ganz der Genauigkeit der Beobachtung.
Die anrührende Geschichte des verirrten Igels, der in einem Garten Schutz sucht und sich unsichtbar zu machen sucht vor den zudringlichen Blicken einer feindlichen Außenwelt, kann man auch als symbolische Fallstudie lesen – als exemplarische Tragödie über das Scheitern eines Einzelgängers, der keine Chance hat auf ein gelingendes Leben.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007
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