IDA GERHARDT
Die Abweisung
Ich schreibe mit der Rabenfeder,
mein Herr.
Mein Herz, Ihr Herz
Ihre Ehre, meine Ehre
haben nichts gemein.
Ich schreibe mit der Rabenfeder.
Ich schreibe mit der Rabenschwärze
das Zeichen: Nein.
(Übersetzt von Maria Csollány)
aus: Stechäpfel. Gedichte von Frauen aus 3 Jahrtausenden. Hrsg. v. U. Hahn. Reclam Verlag, Stuttgart 1992
Der Antrag eines Mannes, sein Gefühls-Bekenntnis und sein mit „Herz“ und „Ehre“ werbender Liebeswunsch werden hier in großer Klarheit zurückgewiesen. Das weibliche Ich im Gedicht der niederländischen Autorin Ida Gerhardt (1905–1997) nutzt ein poetisches Medium, die Rabenfeder, um ein eindeutiges „Zeichen“ zu setzen und eine „rabenschwarze“ Geschichte des Scheiterns zu erzählen.
Diese lyrische Miniatur formuliert fast idealtypisch die entschlossene Selbstbehauptung eines weiblichen Subjekts. Literaturgeschichtlich kann man darin ein Schlüsselgedicht für eine feministische Poetik erkennen: Dem männlichen Besitzanspruch werden Grenzen gesetzt – das Ich verweigert sich den problematisch gewordenen Begriffen wie „Herz“ und „Ehre“. Und dieses Ich geht seinen eigenen unbeirrbaren Weg und lässt sich auch durch hohl klingende Appelle nicht davon abbringen – den Weg des Schreibens.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008
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