JOACHIM RINGELNATZ
An Gabriele B.
Schenk mir dein Herz für vierzehn Tage,
Du weit ausschreitendes Giraffenkind,
Auf dass ich ehrlich und wie in den Wind
Dir Gutes und Verliebtes sage.
Als ich dich sah, du lange Gabriele,
Hat mich ein Loch in deinem Strumpf gerührt,
Und ohne dass du’s weißt, hat meine Seele
Durch dieses Loch sich bei dir eingeführt.
Verjag sie nicht und sage: „Ja!“
Es war so schön, als ich dich sah.
um 1930
An diesem aus dem Nachlass von Joachim Ringelnatz (1883–1934) stammenden Gedicht lassen sich exemplarisch die Eigenheiten des Kabarettisten und Dichters ablesen. Ringelnatz reimt und verwendet einfache Muster lyrischen Sprechens, hier, in ironischer Brechung, die Anrufung einer Gabriele B. Diese Spielart des Ironisch-Romantischen lässt sich auf die Lyrik Heinrich Heines zurückführen, entbehrt aber dessen politischen Scharfsinn. Oder etwa nicht?
Trotz seiner eher unpolitischen Impulse hatten die Nationalsozialisten den Dichter zur persona non grata erklärt. Noch 1930 schrieb Ringelnatz, der „Hitler-Rummel“ lasse ihn kalt, ohne jedoch die Macht der neuen Bewegung richtig zu erkennen. So überraschte ihn das über ihn verhängte Auftritts- und Veröffentlichungsverbot vollständig. Nach massiven öffentlichen Attacken durch Nazi-Schergen verschlechterte sich sein Gesundheitszustand dramatisch. Ein Jahr nach der Machtergreifung war Ringelnatz tot.
Norbert Lange (Gedichtkommentar) Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010
Schreibe einen Kommentar