Joachim Ringelnatz’ Gedicht „Pfingstbestellung“

JOACHIM RINGELNATZ

Pfingstbestellung

Ein Pfingstgedichtchen will heraus
Ins Freie, ins Kühne.
So treibt es mich aus meinem Haus
Ins Neue, ins Grüne.

Wenn sich der Himmel grau bezieht,
Mich stört’s nicht im geringsten.
Wer meine weiße Hose sieht,
Der merkt doch: Es ist Pfingsten.

Nun hab ich ein Gedicht gedrückt,
Wie Hühner Eier legen,
Und gehe festlich und geschmückt –
Pfingstochse meinetwegen –
Dem Honorar entgegen.

1932

 

Konnotation

Im Februar 1932 wurde an einer Berliner Kunsthochschule ein „Wohltätigkeitskostümfest“ zu Ehren des schnoddrigen Reimkünstlers Joachim Ringelnatz (1883–1934) zelebriert, der zu diesem Zeitpunkt im Zenit seiner Karriere stand. Zwei Jahre zuvor war Ringelnatz von München nach Berlin gezogen, weil er sich dort sicher wähnte vor den Schlägertrupps der SA, die in München regelmäßig Theater und Kabaretts stürmten, um ihnen missliebige Programme zu verhindern. In dem 1932 erschienenen Band Gedichte dreier Jahre mischen sich in Ringelnatz’ humoristische Texte schon markante Abschieds- und Todesgedanken. Heitere Kleinigkeiten wie die „Pfingstbestellung“ sind selten geworden.
Ringelnatz führt hier äußerst kunstvoll die Zwanghaftigkeit eines Auftrags-Gedichts vor. Wer ein klassisches Pfingsten-Poem liefern will, ist auf der Suche nach Endreimen immer auf den Superlativ „im geringsten“ angewiesen, wie einige Jahrzehnte später auch Ringelnatz’ poetischer Wahlverwandter Heinz Erhardt (1907–1979) erfahren musste. Aber es gibt einen schönen Trost für die ironisch akzentuierte Fleißarbeit: das Honorar.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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