Monika Rincks Gedicht „teich“

MONIKA RINCK

teich

sagt er: das leid ist ein teich.
sag ich: ja, das leid ist ein teich.
weil das leid von fischen durchschossen
in einer mulde liegt und faulig riecht.
sagt er: und die schuld ist ein teich.
sag ich: ja, die schuld auch teich.
weil die schuld in einer senke schwappt
und mir bei hochgerecktem arm bereits
zur aufgedehnten achselhöhle reicht.
sagt er: die lüge ist ein teich.
sag ich: ja die lüge ebenso teich.
weil man im sommer des nachts
am ufer der lüge picknicken kann
und immer dort etwas vergisst.

nach 2004

aus: Monika Rinck: zum fernbleiben der umarmung. kookbooks Verlag, Berlin 2007

 

Konnotation

Als überaus belesene poeta docta bewegt sich die Dichterin Monika Rinck (geb. 1969) gern in Grenzbereichen zwischen Kunst, Philosophie und Literatur. Ihr poetischer Assoziationsdrang führt zu einem lässigen Switchen zwischen unterschiedlichsten Themen und Wissensfeldern, die dann in einer „mobilen Form“ poetisch verknüpft werden. Es ist ein temporeicher, sinnlicher, von verblüffenden Assoziationen immer wieder belebter Dynamismus, der ihre Gedichte vorantreibt.
Was ist das für ein mit repetitiven Vergleichen operierender Dialog zwischen einem Er und einem Ich? Der männliche Part spricht in diesem nach 2000 entstandenen Gedicht von „Leid“, „Schuld“ und „Lüge“, von negativen Emotionalitäten, die immer wieder zum Wort „Teich“ hinführen. Das weibliche Ich überführt die Teich-Assoziation in konkret fassbare Szenen – und treibt sie noch weiter ins Metaphorische. Und gibt einen Wink auf die Lüge: es bleibt immer etwas zurück, das sie auffliegen lässt.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009

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