Versprochen

«Lange Zeit», sagt Ilse Aichinger in einem Interview, «habe ich das Nichtschreiben als eigentliche Tätigkeit des Schreibens angesehen.» Klingt wie ein Romanbeginn. Beginn einer Geschichte des Verrats. Verrat an einem – diesem – Glaubenssatz.
Aber was wäre der Gegenstand des Glaubens, des Verrats? Das Schreiben? Das Nichtschreiben?

Offenbar gilt hier praktiziertes Nichtschreiben als das Eigentliche, und das Schreiben – uneigentliche Bemühung – als ein gescheitertes Nichtschreiben. Oder übertragen auf alltägliches Sprachverhalten: Was ich sage, wie ich’s sage, kann immer nur Beleg dafür sein, dass ich ein Schweigen – höchste Form des Sprechens – gebrochen habe.

Das Schreiben, so verstanden, wäre ein stetiges Versprechen; das Sprechen nichts als Verrat.
(Schreiben – Spuren hinterlassen, um so spurlos wie möglich zu verschwinden.)

 

aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern

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