PETER HACKS
Freu dich Liebe
Ich hab eine Nachbarin,
Der ich nicht zu häßlich bin.
Muß nicht weit nach Küssen gehn.
Hab mein Schatz im Hausflur stehn.
Wohnte sie in Thüringen,
Müßte ich nach Thüringen.
O wie reich bin ich belohnt,
Daß sie nicht in Gotha wohnt.
Ich hab eine Nachbarin,
Der ich nicht zu häßlich bin.
Freu dich, Liebe, freue dich.
Nebenan, da nimmt man mich.
1970er Jahre
aus: Peter Hacks: Hacks Werke in fünfzehn Bänden, Bd. 1. Die Gedichte. Eulenspiegel Verlag, Berlin 2003
Das neckische Liebesgedicht in schnoddriger Volksliedstrophe: Was Heinrich Heine (1797–1856) dereinst virtuos zelebrierte, wird vom kommunistischen Klassizisten Peter Hacks (1928–2003) zur Perfektion geführt. Selbst im frivolen Knittelvers vergisst Hacks nicht, sein poetisches Markenzeichen zu setzen. Denn als selbsternannter und durchaus auch legitimer Nachfolger Goethes im späten 20. Jahrhundert schmuggelt er in sein heiteres Liebespoem eine Anspielung auf den großen Weimarianer ein.
Es war eine in Gotha befindliche Marmor-Büste der schönen Wilhelmine von Cronrath, die dereinst die Aufmerksamkeit des Dichterfürsten Goethe erregte. Von der Marmorbüste erbat er sich schließlich einen Abguss, der dann jahrelang im Blauen Zimmer des Goethehauses zu sehen war. Den Umweg über die thüringische Stadt Gotha kann sich der passionierte Liebhaber Hacks jedoch sparen. Denn die Sinnesfreuden warten auf das lyrische Ich schon „nebenan“ – bei der „Nachbarin“.
Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2010, Verlag Das Wunderhorn, 2009
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