Ralph Dutli: Zu Ossip Mandelstams Gedicht „Musik meiner zärtlichen…“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Ossip Mandelstams Gedicht „Musik meiner zärtlichen…“ erschienen in Ralph Dutli: Mandelstam, Heidelberg. –

 

 

 

 

OSSIP MANDELSTAM

Musik meiner zärtlichen
Verhaltnen Lobpreisung,
Und Wellen ganz leis nun
Von Liebe als – rebellischem –

Gesang, wenn von dorther
Sich strecken die Hände,
Woher nur die Klänge
Und Wellen als Worte –

Die Dämmerung: Gewebe
Durchdrungen vom Körper –
Im Strahlen erfährt er
Dein Zittern, dein Beben?

 

Gedichte aus Heidelberg

Der junge Dichter scheint auch verschiedene Versmaße auszuprobieren. Wenn Jamben und Trochäen überwiegen und im vorangehenden Gedicht der Daktylus erprobt wird, so liegt hier das ebenfalls dreisilbige, seltenere Versmaß des Amphibrachys vor (griech. für „von beiden Seiten kurz“): unbetonte – betonte – unbetonte Silbe (v – v). Zwei „Umarmende“ zeigt der Vers (v – vv – v), vielleicht versteckt sich selbst in der Metrik ein geheimer Wunsch? Fragile Körperlichkeit erscheint oft in diesen Gedichten, dazu kommen Wörter, die Erregung, Emotion verraten: Zittern, Beben. Doch die Distanz zum weiblichen Du scheint nicht überwindbar: „von dorther“ strecken sich die Arme entgegen, doch zur Umarmung kommt es nicht. Das Liebesthema ist beim jungen Dichter von Unmöglichkeit geprägt, von Erwartung, kaum von Erfüllung. Das Gegenüber bleibe hier wenigstens nicht ganz abwesend wie die „Eremitin“ im Gedicht „Der Ort wird leer. Der Abend dauert“ (S. 59). Die „Wellen der Liebe“ verweisen noch einmal auf das Element des Wassers, das bei Mandelstam – vgl. das vorangehende Gedicht – das Element des Erotischen ist. Dämmerung und Gewebe werden überblendet – zu den Bildern textiler Herkunft vgl. Kommentar zum Gedicht „Auf dunklen Himmel hingestickt“ (S. 69) und „Feiner Moder, ausgedünnt“ (S. 97).

Ralph Dutli, aus Ralph Dutli: Mandelstam, Heidelberg, Gedichte und Briefe 1909–1910, Wallstein Verlag, 2016

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