EDEN IN DER HÖLLE
In diesem Garten
stehen Adam und Eva
auf einem anderen Feigenblatt
Keine Frage mehr
nach dem Stachel
wenn das Paar vorzieht
zu verdunsten da begossen
alles sich Bäumende
für die Säge strotzt
legt Richard Anders eine Summe seiner lyrischen Arbeit aus fünf Jahrzehnten vor. Die von ihm selbst getroffene Textauswahl belegt eindrucksvoll eine Spur, die unter ihrer Lesart als „deutschsprachiger Surrealismus“ Literaturgeschichte geschrieben hat – nur dies eben nicht mit den Initialen eines nach dem Kriegsende bald wiederbelebten deutschen Selbstbewußtseins. Viel eher schrieb sich diese Richtung mit einer Geheimtinte, das heißt, mit dem Einfluß der automatischen Schreibweise, jener écriture automatique des französischen Surrealismus, also jener international anerkannten Poesiemethode, die sich den diversen Unterströmungen des Bewußtseins öffnet. Somit erscheint „Die Pendeluhren haben Ausgangssperre“ auch als eine Differenz und als Beispiel einer beharrlichen Anknüpfung an die mit dem Kriegsende aus Ruinen auferstandenen und bald wieder an den Rand gedrängten Avantgarden der europäischen Vorkriegsära. Daß der Surrealismus in Deutschland nur als Marginalie Fuß fassen konnte, läßt sich nur schlecht mit dem Bestreben erklären, so schnell es nur ging wieder auf ganz eigenen Beinen zu stehen. Zu vieles blieb dabei auf der Strecke. Die für den Surrealismus zur Disposition stehenden Beweggründe waren (und sind): die Liebe, der Traum, das Begehren, der Rausch und vor allem die Überzeugung, daß die Menschen niemals aus dem Alptraum der Geschichte erwachen würden, wenn sie weiterhin ihre alte (cartesianische) Unterscheidung zwischen der Gewißheit und dem Schattenreich der Irrtümer zu einem Bollwerk gegen das Unbekannte, das Rätselhafte und das Wunderbare machten.
Richard Anders setzte sich, wie wenige andere deutschsprachige Poeten, mit solch einem „Ding der Unmöglichkeit“ und dessen Chancen auseinander, vom romanischen Ursprung her in das benachbarte Idiom übertragen zu werden. Der ideologieverdächtige Ismus hinter jener äußerst weltoffenen Bewegung bildete hierbei letzten Endes nur eine Rahmenbedingung, ohne die es den kollektiven Mythos einer Gruppe von Künstlern, die auf eine Revolution der Wahrnehmungen eingeschworen war, vielleicht nicht gegeben hätte. Er ließ jedenfalls genügend Spielraum für viel Freiheit bei den dichterischen und der Malerei verbündeten Experimenten mit dem Unterbewußten. Richard Anders hat sich in seinen Gedichten immer wieder dem Wunderbaren und auch bizarren Absonderlichkeiten gewidmet, soweit sie auf der Reibefläche zwischen dem Wünschenswerten und dem Widersinnigen die Vorstellungskräfte entzünden. Seine Bilder entsteigen der Verwandlungsbereitschaft des Schlafs und leeren den Schatten der Dinge, so daß diese den gewohnten Halt in unseren Begriffen verlieren. Das Grauen, als eine Kehrseite des Wunderbaren und der Schönheit, fällt in seinen Texten nicht unter den Werktisch der Selbstzensur, sondern verliert Wort für Wort und Schluß für Schluß (denn Richard Anders ist ein verblüffender Schlußfolgerer) von seiner Ungestalt und ihrem dementsprechenden Schrecken. Und es gibt oft ein Lachen. Nicht von der Art, die im Halse stecken bleibt, sondern eines, das sich hinter der Deckung, die die Bilder ihren Gegenständen bieten, über vieles Absurde an der Versteck spielenden Wahrheit amüsiert.
Andreas Koziol
Kurz nach dem siebzigsten Geburtstag legt Richard Anders, 1928 in Ortelsburg geboren, seit 1970 als freier Autor in Berlin wohnhaft, endlich einen repräsentativen Querschnitt durch sein lyrisches Werk vor. Neben neuen, hier erstmals gedruckten Texten sammelt der Band längst vergriffene, verstreut publizierte oder bisher nur in kostspieligen Editionen erschienene Gedichte, die dem Leser jetzt einen Einblick gewähren in die Kontinuität deutschen surrealistischen Schreibens.
Im Unterschied zu jenen deutschen Autoren, die das in den fünfziger Jahren nicht geringe Wagnis eingingen, ihre Gedichte unter die Ägide der Bildkonstruktion des französischen Surrealismus zu stellen, aber schon bald, vor allem beeinflusst durch René Char, individuellere Möglichkeiten entwickelten, greift Anders bis zum heutigen Tag auf eine der ursprünglichen Methoden des Surrealismus zurück: die automatische Schreibweise. Sie ist die Initialzündung seiner verstörenden Bildfolgen.
Dieses „Schattenmundreden“, diese nächtliche Sprachwanderung durch das Bewusstsein ohne intendierte Aussage, bringt im Zusammenstoss dissonanter Elemente keineswegs nur Wunderbares hervor, es führt uns vor allem dessen bedrohliche, bizarre und absurde Gegenseite buchstäblich vor Augen. Immer wieder kreisen die Texte in erneuten Metaphernläufen um die Körperlichkeit, in die der Gedanke verfangen ist („auf dass meine / Knochen endlich / flügellos flögen“), um die Sexualität, die als Aufschwung, aber auch, wenn sie verweigert wir oder scheitert, als Zerknirschung erlebt wird (wie in dem langen Prosagedicht „Kopfrollen“).
Die Kindheit, ein Paradigma dieser Doppelzüngigkeit, ist bei Anders ebenfalls weniger verklärte Erinnerung als Bedrohung durch fremdartige Mächte, Vertreibung aus einem fragilen Paradies ins noch fragilere, absurde Treiben der Erwachsenenwelt, die ein Gedichttitel „Eden in der Hölle“ nennt. Der Reiz dieser Gedichte, auch wenn er sich zuweilen etwas abnutzt, besteht in der sprachspielerischen, halluzinatorischen Verknüpfung des Schönen mit dem Grotesken, das uns auf Schritt und Tritt begegnet, uns an jeder Strassenecke überfallen kann.
Jürgen Brocan, Neue Zürcher Zeitung, 5./6. Juni 1999
Cornelia Jentzsch: Denkbilder nach dem Absturz
Berliner Zeitung, 25.4.1998
Gabriele Killert: Der letzte Surrealist
Neue Zürcher Zeitung, 25.4.1998
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