Rolf Haufs: Vorstadtbeichte

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Rolf Haufs: Vorstadtbeichte

Haufs/Fuchs-Vorstadtbeichte

HAUSIERER

Wir verkaufen nichts Sie brauchen
Nichts zu unterschreiben auch wenn wir
Den Fuß zwischen die Tür stellen
Verkaufen wir nichts das Ende
Ist nahe herbeigekommen
ER steht vor Ihnen in der Gestalt
Seines armen Propheten
Nehmen Sie diese schmale Schrift
Löschen sie Ihr Nachtlicht nicht
Seien Sie wachsam der Feind
Baut Nester jetzt
Niemand kann ihm widerstehen es sei denn
Sie zahlen monatlich fünfzig Pfennig
Für diese schmale Schrift
ER spricht zu Ihnen durch den Mund
Seines armen Propheten
Kommen Sie unter sein Zelt
Sie werden Antwort finden Trost
Auf unsern Wanderungen
Durch den Spandauer Forst
Wir erwarten das Ende fröhlich
Verzeihen Sie bittschön
Den Fuß zwischen der Tür es ist
Der Fuß des Herrn
In der Gestalt seines armen Propheten

 

 

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„Beschäftigungen“, „Wer fürchtet sich“, „Zweiundneunzig Bleisoldaten“:

so nennt Rolf Haufs die drei Kapitel seiner Vorstadtbeichte. Die Beschäftigungen, frei von der Attitüde der Tüchtigen, künden vom Alltäglichen, vom Anspruchslosen. Der Beschäftigte zeigt sich weise und bekennt Vergeblichkeit. Doch der Mangel an Sensation heißt nicht Mangel an Widerstand und Gegenwart. Wenn der Autor ins zweite Kapitel überwechselt, wird Bitterkeit zur Skurrilität, Melancholie zum Humor. Zwischen den Bleisoldaten, die der Vater eingrub… Zwischen den Bleisoldaten, die der Vater eingrub, als der Krieg zu Ende ging, und dem kecken Liedchen „An einen Militär“ liegen nur ein paar Jahre, doch genug an Wirklichkeit und Belehrung.
Ob erzählend oder knapp, ob provokant oder schalkhaft, die verbindliche, unmittelbare, sinnliche Sprache wird des Autors Kriterium.

Luchterhand Verlag, Klappentext, 1967

Das Buch

ist die poetische Konfession eines Mannes, der – im Alltag erstickend – ahnt, was gespielt wird, der über menschliche Ohnmacht verzweifelt, dennoch sich weiter abmüht in der Hoffnung „Vielleicht, daß da ein anderer Tag / Die Welt einmal verändern mag.“

Luchterhand Verlag, Ankündigung 1967

 

Vorstadtbeichte

Rolf Haufs, 1935 in Düsseldorf geboren und seit 1960 in Berlin lebend, veröffentlichte 1962 seinen ersten Gedichtband Strasse nach Kohlhasenbrück, dem zwei Jahre später eine weitere Lyriksammlung unter dem Titel Sonntage in Moabit folgte. Nun liegt Rolf Haufs dritter Gedichtband vor., Er heisst Vorstadtbeichte, ist wie die vorangegangenen, im Luchterhand Verlag erschienen und ebenfalls wieder mit Zeichnungen von Günter Bruno Fuchs illustriert. In den zumeist lakonischen, lapidaren Gedichten des ersten Teils – der Autor hat seine Texte in drei Abteilungen gegliedert – geht Haufs von seinen persönlichen, alltäglichen Erfahrungen aus. Was er von seiner Welt wahrnimmt und was er über diesen Ausschnitt von Welt denkt, das ist in diesen herben, unmelodiösen, vom Rhythmus der Sätze und nicht von einem vorgegebenen lyrischen Metrum bestimmten Gedichten festgehalten. Haufs konstatiert mehr als dass er kommentiert und ausdeutet. Sachlich, als wären es Gegenstände wie andere auch, präsentiert er seine Texte, scheinbar ohne den Ehrgeiz, mehr zu wollen als nur zu notieren, was er gesehen hat.

VON DER VERGEBLICHKEIT

 

Hier ist eine Landschaft
Durchkämmt von gelben Flüssen
Kreuze stehen da
Wo das Wetter getötet hat
Auf den Deichen
Röten sich Pappeln

 

Hier ist eine Stadt
Ohne Masken treten auf!
Der Prediger von Sankt Marien
Der Brotverkäufer mit der roten Mütze
Die Bewohner einer Zweizimmerwohnung mit Bad
Die Fische in der Markthalle

 

Das ist die ganze Geschichte
Ich kann dir die Welt nicht erklären
Ich seh den Vögeln nach
Die niedrig
Die Flüsse anfliegen.

Subjektiv ehrlich sind Haufs’ Gedichte insofern, als sie nur von dem sprechen, was der Autor wirklich kennt, der den Mund nicht zu voll nimmt; diese Sachlichkeit und Nachprüfbarkeit der Texte erinnert noch ein wenig an das Vorbild Brecht, dem Haufs erste Gedichte stärker verpflichtet waren. Auch die Zuspitzung einiger Gedichte auf eine didaktische Pointe, auf eine epigrammatische Wendung hin, ist wohl noch von Brecht inspiriert.
Der scheinbar ruhig-konstatierende Ton der Verse kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass hier nicht bloss oberflächlich alltägliche Erfahrungen notiert und aneinandergereiht werden. Unruhe und Unsicherheit wird spürbar, Töne der Skepsis und der Resignation, auch der Bitterkeit und Melancholie schwingen mit, Beweise eines empfindlichen Reagierens auf die Anzeichen der Bedrohung in dieser scheinbar so sachlichen Welt. In bisweilen kommentierenden Wendungen und in verschiedenen – allerdings nicht immer einsichtigen – bildhaften Verschlüsselungen wird dieser dunkle Untergrund sichtbar, und im Traum wird offenbar, was sich sonst dem Blick verbirgt:

Gefängnisse in meinem Schlaf
Türen schrecken zu
Hilfe von geworfenen Fahnen
Raustreten
Vortreten
Verdacht bleibt Verdacht

In einer Welt aus Fakten und Vermutungen, aus alltäglichen Erlebnissen und aus Anzeichen, die diesen Alltag als durchlöcherte Kulisse erscheinen lassen, zwischen handfester Sicherheit und lauernder Gefahr sucht sich das lyrische Ich zu behaupten:

Ich gehe unter kicherndem Himmel
Und trage an meinen Pflichten
Ich habe Vertrauen
Von Bäumen umstellt
Versuche ich
Meine Stimme zu hören.

Rolf Haufs hätte gut daran getan, sich mit den Gedichten des ersten Teils zu begnügen und nicht noch die Teile II und III anzufügen, die in Ihrer Mehrzahl ungewöhnlich schwach und enttäuschend sind. Hier geht der Autor, angestrengt um Witz und Skurrilität bemüht, entschieden unter sein Niveau. Statt scharf gestochener Bilder findet man hier grobe Karikaturen. Die „Schöneberger Sinnegedichte“ z.B. strotzen nur so von Kalauern und ulkenden Blödeleien.

Und wenn der Himmel grau vor Gräue ist
Und fragt wo wohl Herr Benn geblieben ist
So lässt er sich durch Fliederbäume lotsen
Durch diese Strasse ging er ab nach Bozen.

Solch ein Verslein (– es spielt darauf an, das Benn in Berlin in der Bozener Strasse wohnte –) könnte man allenfalls in einer Bierzeitung mit einigem Wohlwollen belächeln. Fast alles, was Haufs in den satirisch und kritisch gemeinten Versen der Teile II und III seines neuen Gedichtbandes vorlegt, stammt aus zweiter und dritter Hand (– von Arp, Biermann, Enzensberger, Tucholsky und anderen). Es ist enttäuschend, ein originelles Talent hier derart entgleisen zu sehen.

J. P. W., Die Tat, 15.7.1967

 

 

MUSCHEL, GESPREIZT, VERKLAPPT,
für Rolf Haufs

ins Rosenmundrot geschriebener Schatten:
… das geduldige Gift
umwirbt die Herzklappen, beißt die Ufer
aus und runter, Land fügt sich, so
der Titel, an dieses Messer, das
schneidet aus dem Fleisch die
Streifen, Luftwickel für eine
austrocknende Zukunft mit ihren
Zeichen, die sich zuendesprechen wie
wir in der Obhut des Windes, der
Schatten, der Bilder selbst:

Gregor Laschen

 

Erich Jooß: Wiedergelesen – Folge 29: Die Gedichte von Rolf Haufs oder wie das Leben verrinnt

Klassiker der Gegenwartslyrik: Rolf Haufs – Am 3.4.2012 stellt die Literaturwerkstatt Berlin in der Reihe Klassiker der Gegenwartslyrik den Dichter Rolf Haufs vor. Mit Wulf Segebrecht sprach er über sein Werk.

Zum 60. Geburtstag des Autors:

Jürgen Becker, Günter Grass, Walter Höllerer, Michael Krüger, Günter Kunert, Peter Rühmkorf, Hans Joachim Schädlich: Rolf Haufs zum Sechzigsten
Sprache im technischen Zeitalter, Heft 137, März 1996

Zum 70. Geburtstag des Autors:

Michael Braun: „Der Planet friert. Still!“
Badische Zeitung, 30.12.2005.
Auch in: Neue Zürcher Zeitung, 31.12.2005/1.1.2006

Martin Lüdke: Immer größer werdende Entfernung
Frankfurter Rundschau, 31.12.2005

Nico Bleutge: Vertikale Poesie
Süddeutsche Zeitung, 31.12.2005/1.1.2006

Richard Pietraß: Im Glashaus
Der Tagesspiegel, 31.12.2005/1.1.2006

Zum 75. Geburtstag des Autors:

Martin Lüdke: Nebel kommt auf Katzenfüßen
Frankfurter Rundschau, 30.12.2010

 

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Nachrufe auf Rolf Haufs: FAZ ✝ Süddeutsche ZeitungDer Tagesspiegel

 

Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Rolf Haufs

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