Annette von Droste-Hülshoffs Gedicht „Letzte Worte“

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ANNETTE VON DROSTE-HÜLSHOFF

Letzte Worte

Geliebte, wenn mein Geist geschieden,
So weint mir keine Träne nach;
Denn, wo ich weile, dort ist Frieden,
Dort leuchtet mir ein ew’ger Tag!

Wo aller Erdengram verschwunden,
Soll euer Bild mir nicht vergehn,
Und Linderung für eure Wunden,
Für euern Schmerz will ich erflehn.

Weht nächtlich seine Seraphsflügel
Der Friede übers Weltenreich,
So denkt nicht mehr an meinen Hügel,
Denn von den Sternen grüß ich euch!

nach 1844

 

Konnotation

Die Jahre 1843/44, als die lyrische Produktivität der Naturpoetin Annette von Droste-Hülshoff (1797–1848) ihren Höhepunkt erreichte, markierten zugleich eine Schicksalswende im Leben der Dichterin. Der Schriftsteller Levin Schücking (1814–1883), dem sie sich innig verbunden fühlte, heiratete eine Rivalin. Die daraus resultierende Entfremdung zwischen der Droste und Schücking schlug sich bald auch in einer schweren Erkrankung der Dichterin nieder. Es entstand der posthum veröffentlichte Gedichtzyklus „Letzte Gaben“, in dem die Droste die Summe ihres Lebens zieht und Abschied nimmt von ihren engsten Vertrauten.
Nach jüngsten Erkenntnissen der Droste-Forschung ist der Text nicht von der Dichterin selbst verfasst worden, sondern posthum von ihrer Nichte Elisabeth von Droste-Hülshoff (1845–1912). Der Text entscheidet sich jedenfalls im Bewusstsein des Abschieds nicht nur für tief religiöse Trost-Worte an die Hinterbliebenen, sondern auch für eine Absage an das Diesseits. Das irdische Leben gilt einzig als Quelle von „Erdengram“, von dem man erlöst werden will.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

1 Kommentar

  1. Das Erstaunliche an diesem Gedicht ist, daß die Dichterin ganz aus der Sicht des Nachtotlichen Menschen spricht und seine Aktivität, seinen Willen zum Bewusstsein bringt. Die biografische Veranlassung für diese dichterische Genialität erscheint mir sekundär. Das Überpersönliche überformt das Persönliche.

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