Adolf Endlers Gedicht „Memoire“

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ADOLF ENDLER

Memoire

Buchstützen, steil stehn sie da (unverrückbar?);
die Bücher stehn stramm…

Das mosernde Dichterpack, Mensch, was haut
man’s nicht einfach zusemm’!“

(Kommts aus dem Fernseher?, aus dem Korridor?,
unten vom Damm?)
Einhundert Bücher; die Dienstpistole; Autoschlüssel;
der Kamm.

1990er Jahre

aus: Adolf Endler: Krähenüberkrächzte Rolltreppe. Neunundneunzig kurze Gedichte. Wallstein Verlag, Göttingen 2007

 

Konnotation

Was man von dem eigensinnigen Dichter und schelmischen Anarchisten Adolf Endler (geb. 1930) nicht erwarten darf, ist Ehrfurcht vor der Kultur. Seit den frühen 1960er Jahren versteht es der in West wie Ost renitente Dichter vorzüglich, der Gesellschaft „immer wahnsinnigere Fratzen“ zu schneiden. Auch in seinem Spätwerk präsentiert sich der „melancholisch-pathetisch-cholerisch-apathische“ Autor (Endler über Endler) als kauziger Desillusionierungs-Künstler.
In einem schön bösen Epigramm mokiert sich Endler über die erstarrten Fassaden der Buch-Kultur. Auch das „mosernde Dichterpack“ wird mit der allfälligen Respektlosigkeit behandelt. In die wie zum Hohn fortlaufend gereimten „Memoire“ wird nicht nur die übliche Lästerrede eingeschmuggelt, sondern auch ein kleines bedrohliches Rätsel. Offenbar ist als Akteur des Gedichts ein autoritärer Charakter am Werk, der für Büchermenschen polizeiliche Lösungen anstrebt.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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