Caius Dobrescu: Ode an die freie Unternehmung

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Caius Dobrescu: Ode an die freie Unternehmung

Dobrescu/Thanhäuser-Ode an die freie Unternehmung

ODE AN DIE FREIE UNTERNEHMUNG

In den patriarchalischen Gesellschaften, die, so
aaaaavermutet man,
nach dem Bienenkorbprinzip funktionierten,
galt die Ungewißheit als Staatsfeind
Nummer eins. Sooft sie sich
wie ein finsteres Rieseninsekt von einem anderen
aaaaaPlaneten
einzuschleichen versuchte, wurde sie umzingelt
vor den Kriegerinnen des Stammes und von allen Seiten
aaaaabeschossen
mit Strahlen glühenden Wachses. Welches rasch auskühlte
aaaaaund sie in die Starre
eines gelatinösen Sarkophags packte. Diese Riesenpuppe
wurde abschließend in einer Prozession
endloser Arbeiterinnenkolonnen fortgebracht und
mit einem letzten Ruck aus dem Bienenkorb gekippt.

Dies blieb so bis zu dem Zeitpunkt, wo das symbolische Denken
aufhörte, gleich einem Sekret zu wirken. Seither
haben wir ein völlig verändertes Bild. Die Ungewißheit
wurde zu einer Sphäre alternativer Möglichkeiten
von stets begrenzter Anzahl. Somit, könnte man sagen, ein Bündel
feiner und gleichwohl triumphaler Saiten, zitternd
vor Ungeduld, berührt zu werden von einer
Unsichtbaren Hand.

 

 

 

Begündung der Jury

Caius Dobrescu und sein Übersetzer aus dem Rumänischen, Gerhardt Csejka erhalten für den Band Ode an die freie Unternehmung, der 2006 als RanitzDruck Nr. 13 der Edition Thanhäuser (Ottensheim an der Donau, Österreich) erschienen ist, den mit 15.500 Euro dotierten

Preis der Stadt Münster für Europäische Poesie 2009.

Die Jury ist überzeugt davon, mit dem 1966 in Braşov (Kronstadt)/Siebenbürgen geborenen Caius Dobrescu, von dem auf Rumänisch unter anderem die vier Gedichtbände Efebia, (1994;), Spălându-mi ciorapii (Beim Sockenwaschen, 1994), Dragi tovarăşi sau Recviem pentru anii 60 (Liebe Genossen oder Requiem für die 60er Jahre,1995), Deadevă (Echtwah, 1999) und der Roman Balamuc sau Pionierii spațiului (Irrenhaus oder Die Pioniere des Raums, 1994) vorliegen, einen der originellsten, ästhetisch und intellektuell wagemutigsten Autoren nicht nur der jüngeren rumänischen Literatur auszuzeichnen.
Mit dem 1945 in Zabrăni (Guttenbrunn) im rumänischen Banat geborenen Gerhardt Csejka, der seit 1986 in Deutschland lebt, würdigt die Jury einen der profiliertesten Übersetzer aus dem Rumänischen, der unter anderem durch die Übertragung von Werken Mircea Eliades und Mircea Cărrărescus hervorgetreten ist.
Der von der Jury als preiswürdig erkannte Band Ode an die freie Unternehmung, bei dem es sich um die erste deutschsprachige Buchpublikation Caius Dobrescus handelt, enthält 35 Gedichte, deren jedes seinerseits den Titel „Ode an die freie Unternehmung“ trägt. Diese Oden verdienen den Preis für Europäische Poesie unter anderem:

− weil es sich bei ihnen um „eine völlig unbekannte Pflanze“ (Dobrescu) handelt, wir in ihnen „dem An-nichts-anderes-Erinnernden“ begegnen, dem so noch nicht Gehörten;

− weil sie sich in Grenzbereiche vorwagen, wo Bild, Klang und Gedanke sich gegenseitig den Boden unter den Füßen wegziehen, was zu mirakulösen Debakeln, poetisch wie intellektuell reizvollen Katastrophen führt, dem „Schockerlebnis“ etwa, „dass keine Bilder mehr zu sehen“ sind, „sondern nur noch Töne“;

− weil sie geschrieben sind „für alle, die über dem lohenden Kessel eines Schmelzofens hängen oder sich über einem 55 Stockwerke tiefen Abgrund nur mit den Fingernägeln festhalten“ – für uns alle also;

− weil sie das von Gertrude Stein formulierte Leitmotiv der poetischen Moderne („eine rose ist eine rose ist eine rose“) nicht bloß aufgreifen, sondern über sich hinaus ins Absurde treiben: „Eine Explosion ist eine Explosion ist eine Explosion“;

− weil sie nicht wissen, wovon sie handeln, wo sie herkommen: „Die wahre Ode… weiß nicht wie der Hase läuft. Sie entsteht direkt in die Ratlosigkeit hinein“;

− weil sie antreten, „die Ungewißheit“, das Lebenselixier des zeitgenössischen Menschen nicht zu bejammern, sondern „von innen heraus zu lobpreisen… Der Zweifel als Vibration, als Musik“.

Dafür, dass er es möglich macht, diese Musik, die ebensoviel zu denken wie zu genießen gibt, auch auf Deutsch zu hören, verleiht die Jury Gerhardt Csejka den Übersetzerpreis.

Urs Allemann, Michael Braun, Cornelia Jentzsch, Johann P. Tammen, Norbert Wehr

„Baumblätter als Banknoten“

− Laudatio von Ulf Stolterfoth auf Caius Dobrescu und Gerhardt Csejka. −

Das Wort „Ode“ bezeichnete im Griechischen ursprünglich jede Art gesungener Dichtung im Gegensatz zum Logos. (…) Noch Horaz, der das wichtigste formale Merkmal der äolischen Lyrik, die Odenmaße, in die römische Dichtung einführte und zum bedeutendsten Vermittler der Gattung wurde, nannte seine Gedichte in den odischen Strophenformen „carmina“, was nichts anderes ist als die Übersetzung des griechischen Wortes „Ode“ in seiner allgemeinen Bedeutung von „Lied“.
Sie wissen das alles wahrscheinlich längst – nichtsdestotrotz noch ein kleines Stück weiter aus Otto Knörrichs mehr als nur hilfreichem Lexikon lyrischer Formen:
[Für die] vor allem durch Horaz berühmt gewordenen und auch im Deutschen am meisten nachgeahmten Formen der sapphischen, der alkäischen und der asklepiadeischen Strophe gilt, was eigentlich auf jedes metrische System zutrifft: daß es „nur Voraussetzung ist“ und „mit ausgeprägter rhythmischer Eigenwilligkeit jeweils neu und frei gestaltet, und nicht einfach ausgefüllt wird.“
Das läßt sich nun auch sehr viel kürzer sagen, mit Caius Dobrescu nämlich und Gerhardt Csejka:

Ode ist somit nicht das, was Schiller geschrieben hat,
sondern was Lichtenberg gegebenenfalls geschrieben hätte.

Ganz großartig – aber auch ganz schön verzwickt! Entspricht dann das, was Caius Dobrescu geschrieben und Gerhardt Csejka übersetzt hat, dem, was Lichtenberg geschrieben hätte? Ich weiß nicht, was Lichtenberg geschrieben hätte. Ich weiß, mangels rumänischer Sprachkenntnisse, nicht einmal, was Caius Dobrescu geschrieben HAT – ich weiß nur, was Gerhardt Csejka übersetzt hat. Das aber reicht mir völlig zum Glück.

Die wahren Oden sind grundlegend taktiler Art, sie bewegen sich lediglich tastend fort, sind die meiste Zeit blind und weich, rundum verwundbar.

Und:

Sie [die Ode] ist geboren, die Ungewißheit von innen heraus zu lobpreisen. Eine perfekte Kassette, die nicht perfekt schließt. Der Zweifel als Vibration, als Musik.

Wenn nun heute Gerhardt Csejka und Caius Dobrescu gemeinsam den Preis für Europäische Poesie der Stadt Münster entgegennehmen, dann scheint mir das, gerade in diesem Fall nicht nur eine äußerst glückliche Jury-Entscheidung zu sein, es ist auch eine Verbeugung vor der Poesie und ihrer Übersetzung als freier, ungeschützter Unternehmung: „rundum verwundbar“. Daß Lyriker und Übersetzer auf solche, auch finanzielle Würdigungen angewiesen sind, ist – glaube ich – mittlerweile allgemein bekannt; damit es aber überhaupt so weit kommen konnte, bedurfte es eines weiteren freien Unternehmers, des Verlegers nämlich, weshalb ich den Kreis der zu Ehrenden gerne um Christian Thanhäuser erweitern würde, der dieses Buch, die Ode an die freie Unternehmung verlegt und darüber hinaus auch illustriert, gedruckt und gebunden hat. So wird mit dem diesjährigen Preis nicht nur die außergewöhnliche Qualität eines Textes, seiner Übersetzung und seiner buchkünstlerischen Gestaltung ausgezeichnet, sondern nicht zuletzt auch die Risikobereitschaft aller Beteiligten, ihre freie Unternehmung – und das soll ganz explizit auch für die Jury gelten!
Wenn nun weiterhin Caius Dobrescu und Gerhardt Csejka heute den Preis für Europäische Poesie entgegennehmen, dann sind sie – bei bisher neun Vergaben – nach Gellu Naum/Oskar Pastior und Daniel Bǎnulescu/Ernest Wichner bereits das dritte rumänisch-deutsche Paar, dem diese Anerkennung zuteil wird: Münsterscher Rekord! Und das ist kein Zufall, dafür gibt es Gründe: zum einen erlebt die rumänische Lyrik seit spätestens Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre eine ungeahnte, dauerhafte Blüte – um dies nun aber auch bei uns mitzubekommen, dafür brauchte es zum anderen und natürlich ganz wesentlich die Übersetzer, die drei genannten und viele ungenannte mehr, die drittens: fast durch die Bank in Rumänien geboren wurden: Oskar Pastior in Hermannstadt/Sibiu, Siebenbürgen; Ernest Wichner in Guttenbrunn/Zǎbrani, Banat, wo 1945 auch Gerhardt Csejka auf die Welt kam. Gerhardt Csejka studierte in Temeswar Deutsch und Rumänisch, war Redaktionsmitglied der deutschsprachigen Bukarester Literaturzeitschrift Neue Literatur und von 1971 bis 1975 ein Teil der widerständigen Aktionsgruppe Banat. 1986 kam er mit einem DAAD-Stipendium nach West-Berlin, seit 1989 lebt er in Frankfurt am Main. Das alles ist wichtig, am wichtigsten aber womöglich: Gerhardt Csejka hat in den vergangenen fünfunddreißig Jahren unglaublich viel übersetzt – hier nur stellvertretend ein paar Namen: Mircea Eliade, Norman Manea, Gherasim Luca, Gellu Naum, Nora luga, Mircea Dinescu und immer wieder Mircea Cartarescu, zuletzt, gerade erschienen, Cartarescus Debüt Nostalgie und 2007 Die Wissenden – eine unbedingte Empfehlung. Insbesondere für diese Übersetzung erhielt Gerhardt Csejka 2008 den Übersetzerpreis der Kulturstiftung NRW – und in seiner Dankesrede verspricht er den Lesern, auch den zweiten und dritten Teil dieser Trilogie ins Deutsche zu bringen. So ein Mann ist das! Ein Preis für ihn ist gut angelegtes Geld!

Es gibt nun, wenn ich es richtig sehe, zwei ganz unterschiedliche, konkurrierende Vorstellungen davon, wie eine gelungene Übersetzung auszusehen hat. Einerseits das eher traditionelle, fast klassische Bild einer Übersetzung, der nicht (oder nicht mehr) anzusehen ist, daß es sich um eine Übersetzung handelt. Übersetzung als zweites Original, andererseits die Forderung, daß eine Übersetzung die Fremdheit des Ausgangstextes, der anderen Sprache, der anderen Welt (falls man das alles trennen kann und will), wo nicht zu betonen habe, so doch zumindest erkennbar werden lassen müsse. Der Extremfall wäre hier eine Übersetzung als komplett zitiertes Original – ein Gedanke, der etwa bei Peter Waterhouse, einem weiteren Träger dieses Preises, immer wieder anklingt. Diese Idee der Übersetzung als Nicht-Übersetzung gewinnt umso mehr an Faszination, je weiter Gedichte ihre Muttersprache schon im Original verlassen haben – und auch von Caius Dobrescu gibt es Gedichte, die man nur noch mit Mühe als „rumänischsprachige“ bezeichnen kann – allerdings nicht im prämierten Band.
Wie auch immer: beide Modelle scheinen, je nach Ausgangstext, ihre Berechtigung zu haben; problematisch ist also allein ihr Ausschließlichkeitspostulat. Das Wunder der Csejka’schen Übersetzung besteht nun aber gerade darin, daß er sich wenig schert um diese Ausschließlichkeiten., sondern einen, gerade rhythmisch, makellosen Text verfertigt, der trotzdem nie eingeschliffen, routiniert oder geläufig wirkt, sondern ganz im Gegenteil überaus offen, überaus irritierend und befremdlich. Sie konnten das am Freitag bei der Lesung der Preisträger hören [bzw.: Sie werden das bei der Lesung der Preisträger gleich zu hören bekommen!]
Was Sie jetzt sofort zu hören bekommen, ist das, was Caius Dobrescu in seinen „Fragmenten über das Übersetzen“ zum Thema zu sagen hat, unter anderem nämlich folgendes:

Annäherungen aus Annäherungen,
Annäherungen über Annäherungen
Annäherungen ins Leere oder
aaaaaAnnäherungen, welche die Leere
erst schaffen.
Was nicht
und zwar in keinem Fall
eine an sich
schlechte
Sache ist.
(Übersetzung von Ernest Wichner)

Caius Dobrescu also, geboren 1966 in Braşov/Kronstadt, studierte englische und französische Philologie an der Universität Bukarest. Heute unterrichtet er Vergleichende Literatur- und Geistesgeschichte an der Transylvania-Universität in Braşov. Caius Dobrescu veröffentlichte einen Roman, mehrere Essay- und Lyrikbände und ist – ich zitiere aus und bin in vollem Einklang mit der Jurybegründung: „einer der originellsten, ästhetisch und intellektuell wagemutigsten Autoren der jüngeren rumänischen Literatur.“
Von Wagemut und Risikobereitschaft war schon zu Beginn die Rede, in Bezug auf den Dichter Caius Dobrescu aber in erster Linie als „ästhetisches“ oder vielleicht besser: formales Phänomen. Das sei an dieser Stelle auch noch einmal unterstrichen – daß die Ode an die freie Unternehmung tatsächlich auch ein „intellektuelles“, um nicht zu sagen ein gesellschaftliches oder gar politisches Wagnis darstellt, und daß diese beiden Wagnisse ganz eng miteinander zusammenhängen, untrennbar womöglich – darin besteht in meinen Augen das größte Wagnis, das dieser Gedichtband eingeht.

Caius Dobrescus Gewährsmann fürs Soziale – und das bedeutet schon eine Provokation – heißt Adam Smith (1723–1790), Vertreter der schottischen Aufklärung, Begründer der klassischen Nationalökonomie und Freund David Humes. Im besonderen bezieht sich Caius Dobrescu auf eines der beiden Smith’schen Hauptwerke, nämlich auf An Inquiry in to the Nature and Causes of the Wealth of Nations (von 1776), auf Deutsch, kurz und bündig: Der Wohlstand der Nationen. In dieser Untersuchung entwickelt Adam Smith eine Theorie der „natürlichen Freiheit“ als Voraussetzung für die Entstehung, Vermehrung und – ganz wichtig – die gerechte Verteilung gesellschaftlichen Wohlstands. Ausgangspunkte sind die sich damals langsam entfaltende Arbeitsteilung und, damit verbunden, der Übergang vom Tauschhandel zum Handel – eine Entwicklung, aus der nach Smith folgen muß, daß Nächstenliebe und Eigennutz ununterscheidbar werden – Zitat Adam Smith: „Nicht vom Wohlwollen des Metzgers, Brauers und Bäckers erwarten wir das, was wir zum Essen [!] brauchen, sondern davon, daß sie ihre eigenen Interessen wahrnehmen.“

Um dieses System wasserdicht und sozial kompatibel zu machen, ist Smith allerdings auf eine Hilfskonstruktion angewiesen: nämlich die der „invisible hand“. Dieses Bild verweist auf eine allgemeine, vorgegebene (aber wohlgemerkt: nicht oder nicht notwendigerweise göttliche) Ordnung, und der unsichtbaren Hand obliegt es, diesen Zustand immer wieder durch Ausgleich herbeizuführen. Es scheint also so zu sein, daß Adam Smith Marktmechanismen und unsichtbare Hand nicht einfach gleichsetzt – vielmehr stellt der Marktmechanismus lediglich EINE Repräsentation des gesellschaftlichen Prinzips der „invisible hand“ dar.

Daraus folgt, etwas forciert – ich zitiere hier Josef Wieland:

… daß Adam Smith mit dem Namen ,invisible hand‘ einen intelligiblen, gesellschaftlichen Regulationsmechanismus sichtbar machen wollte, in dem sich nach seiner Meinung eine Eigentümlichkeit der evolvierenden bürgerlichen Moderne zeigte: Die Funktionalität selbstorganisierender Prozesse.

Wir befinden uns also, bereits bei Adam Smith, mehr noch bei Caius Dobrescu, nicht nur im eigentlichen volkswirtschaftlichen Diskurs, sondern an einer Schnittstelle zwischen Markttheorie, Epistemologie, Ethik, Soziologie, Kybernetik und – ja, ja: Poetologie! Caius Dobrescu präsentiert uns seine unsichtbare, unermeßliche Hand in Form einer profanen Epiphanie – ich zitiere, aus der fünften Ode, eine der vielen, vielen schönsten Stellen dieses Buches:

Für ihn aber war jene Form,
die nur des Nachts zu sehen war, nur in der Dunkelheit
ohne Anfang und ohne Ende, nichts weiter
als eine unermeßliche Hand.

Eine Hand, ja, die über ihm zum Stillstand kam und sich öffnete.
Eine Hand, die sich dann leicht niedersenkte,
dabei ständig an Dichte zunehmend, vermutlich, denn anders
läßt es sich nicht erklären, war sie doch mehr als immens, bis sie
ihm blitzschnell und doch unsagbar sanft, mit allen Fingern
durchs Haar fahren konnte.
Eine Empfindung, die er sein Leben lang
unauslöschlich auf der Epidermis seiner Schädeldecke
spürte, auch wenn er die später vorsorglich
unter einer Perücke verbarg.

In der 27sten Ode hat die Unsichtbare Hand einen weiteren Auftritt, nur zeigt sie sich nun, ironisch gebrochen, in Gestalt der klimatisierten Luftströme der Firmensitze und Bankportale, die dem Dichter verspielt durchs Haar fahren – Zitat: „Eine zärtliche Geste, die jetzt (…) meine ganze Hirnrinde erfaßt.“ Um schon kurz darauf die nächste Metamorphose zu durchlaufen: „Als ich es dann geschafft hatte, ihr näherzukommen, sah ich sie als Bienenschwarm aus Gold, der sich einzig und allein durch die Kraft des Gesumms in der Luft hielt.“ Was sich da formiert, das sind, ich bin mir sicher, die Bienen, die das Wappen der Medici zieren: „Riesige Wolken goldener Bienen im ewigen Licht der Sonne.“

Denn so, wie die Unsichtbare Hand den göttlichen Ratschluß ersetzt hat, ist das Geld, das Papiergeld, das Geld als Idee, wie sie der florentinische Geldhandel beispielhaft repräsentiert, zum säkularen Heilsversprechen geworden.

Noch einmal Caius Dobrescu:

Ja, ja. Es schafft Räume / Zwischenräume
aaaaader Freiheit zwischen uns
aaaaaund unseren Wünschen. Es
unterbricht uns – hin und wieder – jeweils ein
Stückweit – so als nähme es
uns die Luft. Tatsächlich aber ist es
das gleiche wie wenn ein Schub
aaaaafrischer kräftiger Luft uns ein bißchen
den Atem raubt.

Wenn also oben von ironischer Brechung die Rede war, dann zeigt gerade diese Stelle, daß es Caius Dobrescu mit seinem Gesang an die freie Unternehmung gleichzeitig sehr ernst ist! Die Unsichtbare Hand, die Medici-Bienen, Baumblätter als Banknoten usw. – das alles sind Bilder, aber eben sehr existenzielle Bilder. Ohne biographische Gegebenheiten überbewerten zu wollen, ist ein Heranwachsen unter den Bedingungen einer Planwirtschaft, falls man denn dem rumänischen Willkürsystem überhaupt einen Plan unterstellen möchte, eine prägende Erfahrung und Caius Dobrescus Ode durchaus auch als ein Votum für eine freie Marktwirtschaft unter Maßgabe einer ordnenden Hand zu lesen – nur stellt sich dann natürlich die Frage, was diese Option für die freie Unternehmung der Dichtung bedeutet. Wenn wir nämlich auch für das Gedicht, zumindest für das vorgetragene oder auf Papier realisierte Gedicht, so etwas wie Warenförmigkeit annehmen müssen, scheint das doch auf direktem Wege dazu zu führen, daß größtmögliche Freiheit und vollständige Marginalisierung zur Deckung kommen. Der freieste Dichter wäre dann, als ungelesener, gleichzeitig der unfreieste – und wir hätten uns sehr weit entfernt von Adam Smith‘ Grundüberzeugung: der Ununterscheidbarkeit von gesellschaftlichem und persönlichem Nutzen, oder wir müßten uns eingestehen, daß es mit dem gesellschaftlichen Nutzen der Lyrik vielleicht doch nicht so weit her ist. Der Witz scheint mir nun darin zu liegen, daß sich Adam Smith’ zweite fundamentale Annahme, nämlich die einer fortschreitenden Spezialisierung und Arbeitsteiligkeit aufs Schönste bewahrheitet hat- in seinem Aufsatz „Vom Schreiben leben?“ (1975) umreißt Oskar Pastior das Dilemma folgendermaßen:

Jedenfalls bewahre ich mir eine Distanz und Gelassenheit zu meiner Existenz; wirkliches Bedürfnis, wie ich meine, und zugleich notwendiges Produktionsmittel für jenen lyrischen Bereich, auf den ich mich beschränke; weil ich es – aus Einsicht, aber auch im Hinblick auf die gesellschaftliche Effizienz – für wichtig halte, daß spezielle, begrenzte Fähigkeiten optimal eingesetzt werden, und sei es für Teilbereiche, in denen die soziale Anerkennung schmal ist.

Was doch letztlich bedeutet, daß Adam Smith’ gebändigter Liberalismus und radikal individualistische, anarchistische Konzepte, wie sie exemplarisch etwa Max Stirner vertrat, sehr wohl in Einklang zu bringen sind. Und das ist nun womöglich die größte Qualität der Dobrescu’schen Ode: daß sie diese Spannung nicht nur aushält, sondern formuliert und produktiv zu machen versteht – in Sätzen, die sich so weit von einer gesellschaftlichen Indienstnahme entfernt haben, daß gerade darin ihre soziale Wirksamkeit besteht – ich zitiere „Ode 26“ komplett:

Wenn sie
aaaaaTennis spielen können
mit Würmerbällen, warum sollte
ich nicht auch einmal
aaaaain den Garten hinaustreten
im Kleeblattschlafanzug?

So ein Buch ist das! So ein wunderbares Buch ist das! Und so viel wäre noch zu zitieren daraus und zu erzählen darüber:
Von den Schweine-Krokodilen, dem schwarz glänzenden Jeep mit seiner Kruste wie aus Schokolade, von den Monster-Nährböden, den wildgewordenen Delfinen und gefräßigen Kalmaren. Nichts gesagt von Werner Sombart – Zitat: „Es ist Sombart! Das ist sein Klang! In diesen Wäldern hier, heißt es, soll er sich’s heimisch gemacht haben.“ Vom Geäder der Blätter, den Wasser-MGs, Tautropfen und Speichelfäden; von den nebelumhüllten Mystikern (die in sich selbst die Elektrizität entdeckten) usw. usw. usw. – vor allem aber davon, wie vielfach und kunstvoll das alles mit- und untereinanderverknüpft ist, daß man auch nach dem x-ten Lesen aus dem Staunen nicht herauskommt. So ein Buch ist das!
35 Oden auf 34 Seiten in einer Auflage von 150 Exemplaren – und trotzdem oder gerade deshalb sagt dieses schmale Buch mehr aus über die Grenzen UND über die Möglichkeiten der freien lyrischen Unternehmung als das meiste – mein Gott! Wenn schon, denn schon: als alles, was ich den letzten Jahren gelesen habe. Es löst die Probleme durch seine schiere Existenz! So ein Buch ist das!
Und noch etwas – auf die Gefahr hin, eine Binsenweisheit auszusprechen: Ein gehöriger Teil des Wunders, das dieses Buch für mich bedeutet, besteht natürlich in der Möglichkeit, es überhaupt (also: auf Deutsch) lesen zu können!
Noch einmal Oskar Pastior aus dem schon zitierten Aufsatz „Vom Schreiben leben?“:

Ich denke an die nicht entstandene und, wie ich fürchte, in zunehmendem Maße nicht entstehende Literatur.

Und ich denke an die nicht übersetzte Literatur: Daß es irgendwo in Rumänien oder irgendwo sonst auf der Welt einen Caius Dobrescu gibt, der seinen Gerhardt Csejka NICHT gefunden hat – das ist so wahrscheinlich wie bedrückend.
Daß sich in diesem Fall alles gefügt hat, und wie es sich gefügt hat dafür möchte ich mich bedanken, dazu möchte ich vor allem gratulieren:

Ganz herzlichen Glückwunsch, Gerhardt Csejka!
Ganz herzlichen Glückwunsch, Caius Dobrescu!

Ulf Stolterfoht, aus: Hermann Wallmann (Hrsg.): Als ihr Alphabet mich in die Hand nahm, Daedalus Verlag, 2011

Unsichtbare Hand der Poesie

…die wahren Oden sind grundlegend taktiler Art – die des transsylvanischen Dichters Caius Dobrescu ein fein gesponnener Tangentenkranz um Nichts als das Unermeßliche von wirklichen Unwirklichkeiten, deren innere wie äußere Horizonte, ihre leiblichen, vegetativen, materiellen, kosmischen Dimensionen, ihre Schwebe in jedem Augenblick. Traumfäden, Ausstrecken der Sehnen und Tentakel…, Tentakel der reinen Virtualität, Hirngespinste, Sinngeflechte, um Verästelungen vor Ort… nachzubilden, minutiös zu modellieren im zentralen Vakuum des Verstands, um sie ins warme, samtige Paraffin der Imagination zu hüllen; Wort- & Bildsonden jenseits von (Allzu)Gewissem und jedweder Herrschaft, Myzele ins Unvorhersehbare, ein subtiles Ineinandergreifen, so subtil wie subito… Der Dichter, jener Akrobat des Abyssalen, ein veritabler Spintiseur der schöpferischen Ungewißheit(en). Caius Dobrescu weiß sich ohne Pathos doch con brio in seinen kaskadischen, oszillierenden, vibrierenden Gesängen verbunden mit Visionären der freien Unternehmung, in Kunst wie in Handel & Wandel (Finanzfürsten, Mystiker, Avantgardisten), mit Aufbrüchen früherer (Blake, Verne) wie moderner Zeiten (surrealistische Impulse kamen auch aus dem transsylvanischen Absurdistan).

Kein Lob(gesang) des freien Spiels um jeden Preis, weiß doch jede Unternehmung, grad die freie schöpferische um den ihren: die veränderlichen Räume/Zwischenräume der Freiheit, wie sie, so lesen wir da, zwischen Wannderschatten der Blätter erscheinen und Banknoten natürlicherweise Blättern ähnlich schaffen. Und immer wieder der Fingerzeig: dieses Bündel feiner, gleichwohl triumphaler Saiten (des Möglichen), zitternd vor Ungeduld, berührt zu werden von einer Unsichtbaren Hand (Adam Smiths „invisible hand“ im freien Spiel des Marktes). Die Initiative den Worten überlassen hatte Mallarmé im Sinn, und auch in diesen Oden webt und waltet eine Unsichtbare Hand der Poesie; wie im Merkantilen zeitigt sich auch im Poetischen das Paradox der freien Unternehmung: es gibt sie nur diesseits und jenseits von Grenzen – die einen zu überschreiten ist und bringt, andere zu wahren, bewahrt die Freiheit. Laissez faire ist nicht anything goes. Jedem Vers seine eigene Weise, jedem Gedicht sein Gesicht.
So währt als Preis der Dichtung: Lösung wie Bindung – und immer ist Aufbruch, jenes wortwunderlichte „Komm ins Offene“; dann sind sie zu gewahren, die schimmernden Tautropfen auf dem Spinnennetz…

Ludwig Hartinger, Juli 2006

Versuche, die Ungewissheit zu durchlöchern

− Unsichtbare Hände am Kreuzweg aller Möglichkeiten: Caius Dobrescus Ode an die freie Unternehmung. −

In der Wirtschaft, denkt man, geht es vor allem um Zahlen. Die Moderatoren der abendlichen Börsennachrichten allerdings wirken, als wäre ihnen nichts wichtiger als eine möglichst blumige und bildreiche Sprache, als dienten Kurse und Kursverluste vor allem dazu, ihrem sprachlichen Erfindungsreichtum ein Sprungbrett zu schaffen. Doch nicht nur Fernsehjournalisten mit BWL-Studium, auch angesehene Wirtschaftstheoretiker suchen immer wieder, ihre Überlegungen – Diagramme hin, Statistiken her – auch mit sprachlichen Mitteln anschaulich zu machen.
Berühmtestes Beispiel für eine solche Arbeit an der Metapher ist Adam Smiths Formulierung von der „unsichtbaren Hand“. Wenn diese nun immer wieder in der Ode an die freie Unternehmung des rumänischen Lyrikers Caius Dobrescu auftaucht, dann jedoch nicht, weil der Dichter die Poesie der Wirtschaftstheorie entdeckt zu haben glaubt. Ihn interessieren vielmehr die ihr inhärenten Fragen nach Glauben, Freiheit und Wissen. Diese werden, da es auch auf das gesellschaftliche Zusammenleben im allgemeinen bezogen ist, im Bild der „unsichtbaren Hand“ besonders virulent:

Und er spürte damals noch etwas: daß jene Hand
nicht nur, wie die meisten es zu verstehen beliebten,
die Hand war, aus der immer wieder von neuem die
Würfel fielen, sondern, daß sie auch, wenn man an ihr zupfte,
die einzige Saite unseres Inneren zum Erbeben und damit zum Dasein
brachte.

„Nun gut“, fährt Dobrescu fort, „dies war genau der Augenblick, da / oben auf der Spitze eines schottischen Hügels in einem gewissen Smith / aus Kirkaldy, Schottland, / kein anderer als der Erste Adam / plötzlich erneut die Augen aufschlug.“ Nicht nur Adam Smith, auch Friedrich Hayek, Max Weber und Werner Sombart geistern durch Dobrescus Ode, Letzterer mit besonders viel Getöse:

Es ist Sombart! Das ist sein Klang! In diesen Wäldern hier,
heißt es, soll er sich’s heimisch gemacht haben.
Es ist Sombart, ja, Sombart, der da unter den Bäumen sein Gebrüll hören lässt,
er ist es, der königliche umflorte einsame Ur

35 Gedichte umfasst Dobrescus erster auf Deutsch erschienener Gedichtband, 35 Oden an die freie Unternehmung, und mit jeder Ode stellt er diese Freiheit erneut unter Beweis; jede nämlich könnte, so eigenständig sind sie in Ton und Form, auch für sich stehen. Es handelt sich, kurz gesagt, nicht um programmatische, planvolle Dichtung, sondern um hartnäckige Versuche, die „Ungewissheit zu durchlöchern“.
Wissen erscheint bei Dobrescu zweifelhaft, das Wissen der Poesie ebenso wie das Wissen der Wirtschaftstheorie. Dieses Unwissen aber macht der 1966 im siebenbürgischen Kronstadt geborene Dobrescu in seiner Lyrik produktiv. „Dubito ergo sum“ könnte als Motto über seiner Dichtung stehen. Sie lebt aus „der Spannung am Kreuzweg / sämtlicher Möglichkeiten“. Statt Gewissheiten sucht Dobrescu mit seinen Gedichten Momentaufnahmen zu machen – Momentaufnahmen des Geistes. Man könnte seine Lyrik, würde das nicht gar zu trocken klingen, Gedankenlyrik nennen. In ihr glüht das Feuer des unermüdlichen Forschers, desjenigen, der in den Zwischenräumen, die sich zwischen „Blättern“ und „Banknoten“ auftun, Ausschau hält nach Lichtfürzen, Mad Max und nicht zuletzt nach jener „unsichtbaren Hand“, deren Existenz, gerade in Zeiten der Krise, nicht allzu gewiss sein dürfte. Was bleibt, ist „der Zweifel als Vibration, als Musik“. Dass man dieser auch auf Deutsch gebannt lauschen kann, dafür hat Gerhardt Csejka gesorgt.

Tobias Lehmkuhl, Süddeutsche Zeitung, 17.10.2009

Unsichtbare Hände

− Das Zittern steigert sich zur Vibration, die Vibration zur Explosion. Caius Dobrescu glaubt als Dichter an die Kraft der Bewegung, an die „kostbare Katastrophe“ eines Kugelblitzes. Es lebe der Zweifel: Dobrescus flirrende Ode an die freie Unternehmung. −

Das Zittern steigert sich zur Vibration, die Vibration zur Explosion. Caius Dobrescu glaubt als Dichter an die Kraft der Bewegung, an die „kostbare Katastrophe“ eines Kugelblitzes. „Die Explosion ist eine Lagerstätte, ein labyrinthisches Sammelbecken für Brennstoffe. Für Ressourcen, opportunities.“ Die ruhmreiche rumänische Poesie mit Vertretern wie Gellu Naum, Nora Iuga oder Oskar Pastior liebt seit jeher die Überraschung, den surrealistischen Genuss am Unvorhergesehenen.
Als ein Gelände, in dem „geisterhafte Signale aus dem Verkehr aufblitzen, unerdenkliche Analogien und Verschränkungen von Geschehnissen an der Tagesordnung sind“, beschrieb Walter Benjamin in seinem grundlegenden Aufsatz „Der Sürrealismus“ 1929 das Pariser Terrain dieser Kunstrichtung.
Diesen vermengt der 1966 im siebenbürgischen Brasov (Kronstadt) geborene Caius Dobrescu, der wie alle seine Landsleute den Übergang von der brutalen Mangelwirtschaft Ceausescus zum Kapitalismus mit seinen Fährnissen erlebte, mit dem liberalen Geist des schottischen Nationalökonomen Adam Smith (1723–1790).
Smith hatte in seinem Hauptwerk Eine Untersuchung über das Wesen und die Ursachen des Reichtums der Nationen den Begriff der „unsichtbaren Hand“ (invisible hand) geprägt. Als quasi-religiöses Symbol und Instrument einer natürlichen Ordnung garantiert sie den Ausgleich der egoistischen Eigeninteressen, um das Gemeinwohl zu maximieren.
Adam Smiths unwägbare, segensstiftende Hand ist es, die auf ingeniöse Weise auch Dobrescus Ode an die freie Unternehmung dirigiert:

Der Verstand ist ein Schild. Eine
Adlerschwinge. Ein Schild, ja,
ein provozierender. Der Schild, der
unter seinem Schutz
alle Möglichkeiten offenhält. Alle, jawohl, wie die Saiten, auf denen
er spielen kann, wann immer ihm danach ist, direkt oder
mit dem Schatten, die Hand, ja
die Unsichtbare
Hand.

Die Unsichtbare Hand wird aber in den 35 Oden, die alle den Titel „Lob der freien Unternehmung“ tragen, nicht nur liedhaft gepriesen, sondern auch ironisch angegangen. Mit ihren Tentakeln kann sie dem Dichter sanft über den Kopf streichen oder sich zu einer Epiphanie verdichten:

Als ich es dann geschafft hatte, ihr näherzukommen,
sah ich sie als Bienenschwarm
aus Gold, der sich einzig und allein durch die Kraft des Gesumms
in der Luft hielt.

Der polyglotte Literaturdozent Caius Dobrescu veröffentlichte bereits vier Gedichtbände und einen Roman. In seiner ersten auf Deutsch vorliegenden Publikation evoziert nicht nur das calvinistische Wohlstandssymbol der Biene oder lobt das Geld dafür, dass es „Räume/Zwischenräume der Freiheit zwischen uns / und unseren Wünschen“ schafft. Bevor seine luftigen Imaginationen nach einem Marktwirtschafts-Manifest klingen könnten, kontrastiert er sie mit Erdhaftem wie einem schokoladenkrustigen Jeep oder dem lyrischen Ich, das sich wahlweise ungeniert kratzt oder im Kleeblattschlafanzug Tennis spielt.
Als Propagandist der Beschleunigung, als Jünger der Kybernetik und „geheimer Kurzschlüsse“ hält Caius Dobrescu das Oden-Gesamtkunstwerk mit all seinen Einzelteilen fortwährend in Bewegung. Dabei fungiert der Zweifel als Motor, „als Vibration, als Musik“, so dass die Ode zu einem Lobgesang der Ungewissheit wird – ein höchst aktuelles Unternehmen also. Der Wechsel zwischen jäher Bewegung und Innehalten gerät zu einem poetischen Movens, das den Wirtschaftskreislauf unterläuft und kontrastiert.
Mit Caius Dobrescu und seinem Übersetzer Gerhardt Csejka ehrte die Stadt Münster mit ihrem Preis für Europäische Poesie dieses Jahr nach Gellu Naum/Oskar Pastior (1999) und Daniel Banulescu/Ernest Wichner (2005) schon zum dritten Mal ein rumänisch-deutsches Tandem. Die Besonderheit des Preises besteht darin, dass die fremdsprachigen Lyriker und ihre Übersetzer zu gleichen Teilen ausgezeichnet werden.
In seiner Laudatio auf den unternehmerischen Mut von Autor, Übersetzer und Verleger nannte der in Berlin lebende Lyriker Ulf Stolterfoht (holzrauch über heslach) als größte Qualität der Dobrescu’schen Ode, „dass sie diese Spannung nicht nur aushält, sondern formuliert und produktiv zu machen versteht – in Sätzen, dies ich so weit von einer gesellschaftlichen Indienstnahme entfernt haben, dass gerade darin ihre soziale Wirksamkeit besteht“.
Der 1945 in Zábrani (Guttenbrunn) im Banat geborene Gerhardt Csejka, der seit 1986 in Frankfurt am Main lebt, kann nun sein Portfolio hervorragender rumänischer Autoren – erwähnt sei vor allem der Romancier und Lyriker Mircea Cartarescu – mit der denkwürdigen Wortmusik von Caius Dobrescus Oden als „einer völlig unbekannten Pflanze“ schmücken. Ihre Botanisierung beziehungsweise Lektüre verspricht eine ungeahnte, elektrisierende Erfahrung:

Die Weisheit –
eigenartig schön, für einen Augenblick
hell erleuchtet durch die enge Nachbarschaft
zur Senilität

Katrin Hilgruber, Der Tagesspiegel, 12.7.2009

Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Frank Milautzcki: Poesie, die von der Musik lebt und nicht von Gymnastik
fixpoetry.com, 25.6.2009

Anke Pfeifer: Entfaltung für Kunst und Geist
literaturkritik.de, März 2010

aul.: Abgründe und Himmelfahrten
Neue Zürcher Zeitung, 28.5.2009

 

 

Fakten und Vermutungen zum Autor

 

Fakten und Vermutungen zum Übersetzer + Facebook
Nachrufe auf Gerhardt Csejka: Hanser Verlag ✝︎ Siebenbürgische

 

Gerhardt Csejka Vortrag Minderheiten- und Nationalliteratur am 28.3.2011 in Temeswar.

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