Erich Fried: Liebesgedichte

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Erich Fried: Liebesgedichte

Fried-Liebesgedichte

REINE UND ANGEWANDTE DICHTUNG

Liebesgedichte
waren immer schon ,engagiert‘
oder anakreontisch
und nur simuliert

Ein Liebesgedicht, das sich rein
über seinen Anlaß erhebt
ist wie ein Vögelein
das über sich selber schwebt

Was immer man also versteht
unter einem reinen Gedicht
ein Liebesgedicht an dich
ist so etwas hoffentlich nicht.

 

 

 

Nachwort

Ein Band Liebesgedichte bedarf keiner besonderen Erklärung oder Rechtfertigung, auch wenn – oder gerade weil – neuerdings oft verbreitet wird, es gebe heute keine Liebesgedichte mehr.
Es sind Gedichte aus den letzten vier Jahren, ungefähr in der Reihenfolge ihres Entstehens. Nur das lange Gedicht „Vexierbild“ ist an das Ende gesetzt, weil es manches zusammenfaßt, was in einzelnen Gedichten anklingt. (Es müßte sonst kurz nach „Die guten Gärtner“ zu stehen kommen.)
Da sie alle ihrem Wesen nach zusammenhängen, wurden hier auch die Gedichte „Gedankenfreiheit“, „Halten“, „Einer ohne Schwefelhölzer“, und „Was ist Leben?“ aufgenommen, obwohl die beiden ersten bereits in Die bunten Getüme, die andern in 100 Gedichte ohne Vaterland erschienen.
Gedichte, die scheinbar keine Liebesgedichte sind, etwas „Freie Wahl mit guten Vorsätzen“, „Zwiefache poetische Sendung, „Sterbensworte Don Quixotes“ und andere, entstammen derselben Beziehung und ihren Gesprächen und Gedanken wie die leichter als Liebesgedichte erkennbaren Verse.

Erich Fried, August 1979, Nachwort

 

Facetten der Liebe

Viele mögliche Ausprägungen der Liebe erfaßt Erich Fried mit seinen Liebesgedichten. Doch nicht die beschönigenden, romantischen, „weichen“ überwiegen, sondern oft wird man in Grenzbereiche geführt, in Situationen, in denen der Schmerz die Liebe überlagert, oder nur untrennbar dazugehört? Zum Beispiel „Trennung“:

Der erste Tag war leicht
der zweite war schwerer
Der dritte Tag war schwerer als der zweite

Von Tag zu Tag schwerer:
Der siebente Tag war so schwer
daß es schien er sei nicht zu ertragen

Nach diesem siebenten Tag
sehne ich mich
schon zurück.

Leicht kommen die Gedichte zunächst daher, ohne Reim, lapidare Sätze, deren Inhalt umso schwerer wirkt. Wie im obigen Beispiel führt Fried oft zu völlig neuen Betrachtungsweisen und -richtungen. Mit Fragen führt er zum Nachdenken weit über die Lektüre hinaus: „Treue“:

Es heißt
Ein gebrochenes Versprechen
ist ein gesprochenes
Verbrechen

Aber kann nicht
ein ungebrochenes Versprechen
ein ungesprochenes
Versprechen sei
n?


Die hier versammelten Gedichte stammen aus den Jahren 1975 bis 1979. Fried schrieb sie in einer Zeit, in der behauptet wurde, es gäbe keine zeitgenössischen Liebesgedichte mehr. Sind sie ein TROTZDEM? Der liebende (?) Leser kann sich nach der sehr zu empfehlenden Lektüre mit Fried fragen:

Aus dem Leben
bin ich
in die Gedichte gegangen

Aus den Gedichten
bin ich
ins Leben gegangen

Welcher Weg
wird am Ende
besser gewesen sein?

(Dies ist eine Amazon.de an der Uni-Studentenrezension.)

Ein Kunde, amazon.de, 12.8.1999

Keine Tendenzwende

Ein Jahr nach Erscheinen der Liebesgedichte schrieb der Kritiker Jörg Drews in der Süddeutschen Zeitung eine Rezension. Sie war in ihrem Urteil vernichtend: Frieds Liebesgedichte seien „gut gemeint“, aber im Sinne Benns sei gut gemeint eben das Gegenteil von Kunst. Offenbar habe der „Gelegenheitsdichter und Merkverselieferant“ Fried jede Art von Qualitätskontrolle verloren und veröffentliche „schwatzhaftes Gestammel“ als Liebeslyrik. Diese Gedichte hätten somit auch die „die Konsistenz von Spülwasser“ über dem man „ein rosa Lämpchen“ angezündet habe, Fazit: das passende Stichwort könne nur heißen „neue Weinerlichkeit und neue Einfalt“. Fried selbst fand Verständnis für den Kritiker. Drews habe fälschlicherweise geglaubt, er, der Dichter, habe eine Tendenzwende vollzogen, das habe den Rezensenten zu jenem wilden Angriff gereizt. Typisch für Fried: im Gespräch mit Joern Schlund berichtet er, nach Erscheinen der Rezension habe er den scharfen Verurteiler seiner Verse auch persönlich kennengelernt und habe ihn erwartungsgemäß sehr sympathisch gefunden. Das Verhalten des Dichters beweist nunmehr nicht, daß er ein Mann der Vergebung war, sondern vielmehr, daß der als Politlyriker bekannte Fried eben nicht mit den Liebesgedichten die Tür zum Elfenbeinturm aufgeschlossen hat. Frieds Arbeit existiert in einem ganzheitlichen poetologischen Konzept, seine Linie ist einheitlich: stets geht es ihm um die Bewußtmachung von Entfremdung und Entmenschlichung. Für die Liebesgedichte kann seine Grundforderung umgekehrt und damit positiv formuliert werden: uneingeschränkte Liebe, Bejahung und Akzeptanz des anderen, Schreiben um der Menschlichkeit willen. Das poetologische Konzept lebt von einer Geschlossenheit, d.h. es gilt für den gesamten literarischen output. Es gilt aber auch im Sinne einer Forderung für die Zeitgenossen, es ist eine Forderung nach Wärme, Nähe und Kampf gegen Unrecht.

(Dies ist eine Amazon.de an der Uni-Studentenrezension.)

Ein Kunde, amazon.de, 8.12.1999

Weitere Beiträge zu diesem Buch:

Richard Wernshauser: „Liebesgedichte“
Neue Deutsche Hefte, Heft 2, 1980

Jörg Drews: Neue Weinerlichkeit. Erich Fried: „Liebesgedichte“
Süddeutsche Zeitung, 19./20. 4. 1980

 

Es war an dem Abend

in Straßburg spät geworden. Erich Fried sprach von dem Ungenügen, das ihn vorantrieb. Obwohl es schwierig sei, versuche er, nicht im Kreis zu gehen. Nebenbei seine Bemerkung, Träume könnten in der Dunkelheit sehen. Ich vergesse nicht sein Gedicht „Vorübungen für ein Wunder“:

Vor dem leeren Baugrund
mit geschlossenen Augen warten
bis das alte Haus
wieder dasteht und offen ist

Die stillstehende Uhr
so lange ansehen
bis der Sekundenzeiger
sich wieder bewegt

An dich denken
bis die Liebe
zu dir
wieder glücklich sein darf

Das Wiedererwecken
von Toten
ist dann
ganz einfach

Walter Helmut Fritz, aus Walter Helmut Fritz: Offene Augen, Hoffmann & Campe Verlag, 2007

Erich Fried

Unvergeßlich ist mir das Zusammentreffen mit Erich Fried am 16. September 1987 in Wien. Wir hatten das Treffen telefonisch vereinbart. Es ging um meinen Fotogedichtband Farbenlehre, in dem ich mich mit dem Thema des Holocaust und mit dem ehemaligen KZ Mauthausen befaßte und dem ich den Untertitel „Gedichte gegen das Vergessen“ geben hatte wollte. Doch genau diesen Untertitel fand ich auf einem Gedichtband von Erich Fried. Also konnte ich diesen Untertitel nicht mehr verwenden. Daher schrieb ich an Erich Fried nach London, auch mit der Frage, was ich jetzt tun solle und ob er mir vielleicht einen Vorschlag machen könnte, diesen Untertitel so zu formulieren, daß er zwar die gleiche Aussage beinhalte, aber kein Plagiat darstelle. Fried ließ mir über den Alekto Verlag in Klagenfurt ausrichten, ich solle ihn in London anrufen, was ich dann auch vom Postamt in Treibach-Althofen, wo ich gerade zur Kur war, tat. Ich wählte die mir übermittelte Nummer, es tutete eine Weile, dann meldete sich eine dunkle Stimme mit „Fried“. Ich nannte meinen Namen, er wußte sogleich Bescheid. Wir kannten einander von der Begegnung beim Ersten Österreichischen Schriftstellerkongreß 1981 in Wien. In der Wohnung eines Freundes von Erich Fried, in einem Haus am Wiener Naschmarkt, sollte ich ihn zum vereinbarten Termin nach vorherigem Anruf aufsuchen. Fried war damals schon sehr krank und sichtbar schlecht beisammen. Trotzdem nahm er sich nicht nur Zeit für mich, sondern ging in einer mehr als einstündigen Sitzung mit mir das Manuskript Farbenlehre durch. Ich bin – wenn man das ausnahmsweise so sagen darf – stolz darauf, daß ihm das Manuskript, daß ihm meine Gedichte und Fotos von Mauthausen gefallen haben, ja daß er davon sogar beeindruckt war, wie er mir versicherte. Mit der Vorgangsweise einer poetischen Textanalyse gingen wir gemeinsam Gedicht für Gedicht durch. Er machte ein paar Vorschläge bezüglich Wortwahl, die wir gemeinsam besprachen. In einem Gedicht heißt es „warte noch ein weilchen / in diesem chaos / in diesem kinderspiel / von leben und tod“. Er schlug anstatt des Wortes „Weilchen“ die Formulierung „warte noch eine Zeitlang“ vor. Ich erklärte ihm aber, daß es sich bei meiner Wortwahl eine assoziative Version des volkstümlichen Spruches „Warte noch ein Weilchen, bald kommt er mit dem Hackebeilchen und macht Schabefleisch aus dir!“. Ich weiß gar nicht, in welchem Zusammenhang – vielleicht eines Sprichwortes – das vorkommt, jedenfalls mußte meine Formulierung davon bestimmt gewesen sein; also das Unbewußte oder Unterbewußte im eigenen Gedicht. Natürlich war und ist das in diesem Textzusammenhang und in dieser Assoziation eine Metapher für den Tod. Darauf wies ich Erich Fried hin, und das interessierte ihn auch. Er dachte eine Weile nach und sagte schließlich:

Dann lassen wir das, es ist gut so.

Gegen Ende unserer Sitzung nickte Fried, als ich ihm einige Gedichte vorlas, für einen Augenblick ein, war aber sogleich wieder wach, als ich mit dem Lesen aufhörte. Er rief seine Begleiterin, eine junge Frau, herbei und bat sie aufzuschreiben, was er formulieren würde. Und ohne daß ich ihn darum gebeten hatte, diktierte er sein Vorwort für meinen Fotogedichtband Farbenlehre, autorisierte das Diktierte auch noch mit seiner Unterschrift.
So habe ich Erich Fried in Erinnerung: bedachtsam, ruhig, entschieden, aber auch ob seiner Empörung über etwas erregt protestierend; wie zum Beispiel beim Ersten Österreichischen Schriftstellerkongreß in Wien, als er davon sprach, was ihn all die Jahrzehnte hindurch daran gehindert habe, nach Österreich zurückzukehren. Nämlich daß Österreich und die meisten Österreicher, vor allem die Regierungen und die Politik sich immer noch auf jene tradierte kollektive Geschichtslüge ausredeten, daß Österreich nur ein Opfer des Hitler-Nazitums gewesen sei, und sich nicht zur Verantwortung auch als Täter oder begeisterte Anhänger des Nationalsozialismus bekannten. Eben daß Österreich seine eigene Geschichte aus jener Zeit nicht aufgearbeitet hatte, sich auch in den Achtzigerjahren noch davor drückte, ja gar nicht bereit war, endlich sein eigenes Beteiligtsein und seine eigene Geschichte aufzudecken und aufzuarbeiten. Damals gab es einen erregten Tumult im Rathaussaal. Davon gibt es ein Foto, auf dem ich mit Erich Fried in unserer gemeinsamen Empörung zu sehen bin.
Immer wenn ich ein Buch von Erich Fried sehe oder an seinem ehemaligen Gymnasium in Wien vorbeigehe oder wenn ich mit etwas Wesentlichem nicht zurechtkomme, denke ich an sein wunderbares Liebesgedicht mit den Sätzen:

Es ist was es ist…

Dieser Satz ist für mich zu einer Chiffre geworden, sowohl für die Infragestellung als auch für die Akzeptanz von Wirklichkeit.

Peter Paul Wiplinger, aus Peter Paul Wiplinger: Schriftstellerbegegnungen 1960–2010. kitab Verlag, 2010

 

Sammlung „Hoser’s Buchhandlung“: Tonband 66. Liebesgedichte: Ein Abend mit Erich Fried am 27.9.1984 in Hoser’s Buchhandlung, Stuttgart.

Lesung von Erich Fried am 25.9.1986 im Literarischen Colloquium Berlin

 

 

Hannelore Schlaffer: Erich Fried und Marc Anton, Merkur, Heft 569, August 1996

Herta Beck: Besuch bei Erich Fried

Klaus Wagenbach und Erich Schwarz Lesung zum 72. Geburtstag von Erich Fried am 6.5.1993 in der Werkstatt der Staatlichen Schauspielbühne Berlin.

Detlef Berentzen: Ein gebrauchter Dichter. Eine Textcollage zum 15. Todestag von Erich Fried

Christiane Jessen, Volker Kaukoreit und Klaus Wagenbach (Hrsg.): ERICH FRIED. Eine Chronik. Leben und Werk: Das biographische Lesebuch

Zum 100. Geburtstag des Autors:

Erich Fried Tage – Internationales Literaturfestival

Erich Fried – Wir sind ein Tun aus Ton
3sat.de, 2.5.2021

Rolf Becker für Erich Fried zum 100.
YouTube, 6.5.2021

Alexander Knief: Grass-Stiftung zeigt digitale Schau zu Erich Fried
Weser Kurier, 3.5.2021

Stefan Siegert: Schau’s dir an!
junge Welt, 14.4.2021

Joachim Leitner: Dem Zweifel zweifelnd trotzen
Tiroler Tageszeitung, 4.5.2021

Jürg Halter: Als Politdichter, Liebesdichter oder Erinnerungsdichter: Sagen, was ist – mit Erich Fried
Tagblatt, 5.5.2021

Björn Hayer: Erich Fried zum 100. Geburtstag: Liebe, und immer wieder Liebe
Frankfurter Rundschau, 5.5.2021

Moritz Gathmann: „Lieber Michael Kühnen…“
Cicero, 6.5.2021

Beatrix Novy: Verzweifelter Humanist zwischen zwei Sprachen
Deutschlandfunk, 6.5.2021

Jan Süselbeck: Der unversöhnliche Philanthrop
taz, 6.5.2021

Klaus Bellin: Verse gegen Lüge, Unrecht und Gewalt
neues deutschland, 5.5.2021

Jens Dirksen: Erich Fried schuf Poesie aus radikaler Opposition heraus
WAZ, 5.5.2021

Bernadette Conrad: Kunst zur Veränderung der Welt
Berliner Zeitung, 6.5.2021

Thomas Wagner: Der Stören-Fried
Die Welt, 6.5.2021

Hubert Spiegel: Der Überlebenshilfekünstler
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 6.5.2021

Caroline Fetscher: „Man muß mit jedem reden“
Der Tagesspiegel, 6.5.2021

 

 

 

 

 

 

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Nachrufe auf Erich Fried: Die Zeit ✝︎ Wagenbach

 

Bild von Juliane Duda mit den Texten von Fritz Schönborn aus seiner Deutschen Dichterflora. Hier „Knollenfried“.

 

Erich Fried Liebesgedichte vorgetragen von Frank Hoffmann mit dem Jazztrio mg3.

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