Cogito

In meiner Kindheit und Jugendzeit, das war in den 1950er und frühen 1960er Jahren, wurden Gewissheiten oder Aufforderungen gemeinhin als Glaubenssätze formuliert. «Ich glaube, du brauchst mal wieder eine Tracht Prügel.» – «Ich glaube, so kann das nun wirklich nicht weitergehn.» – «Ich glaube, der Katholizismus ist am Ende.» – «Ich glaube, dass man heute überhaupt nicht mehr glauben kann.»
Inzwischen hat man «glauben» redensartlich durch «denken» ersetzt: «Ich denke, das ist ein voller Erfolg.» – «Ich denke, du hast 
recht.» – «Ich denke, er sollte seine Ambitionen endlich mal zurückstecken.» – «Ich denke, dass das Denken nicht wirklich alles ist.»
Ob glauben oder denken – es ging und geht immer nur um Meinungen. Es mag dieses gedacht und jenes geglaubt werden, und doch ist es, so oder anders, bloss Ausdruck von Glaubensschwäche und Denkfaulheit.

 

aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00