Diktat

Wenn Robert Spaemann in seiner Apologie des christlichen Monotheismus den Anfang von allem nicht in einem Event, sondern in jemandem – Gott – beschlossen sieht, müsste der Anfang von allem ein Autor gewesen sein, und nicht jenes Wort, das nach der Schrift «im Anfang» war.
Das klingt ganz plausibel, aber doch auch, eben deshalb, recht uninteressant. Dass der Autor vor dem Wort kommt, dass Gott schon vor der Schöpfung war, scheint logisch zu sein, weil es chronologisch nachvollziehbar ist und entspricht im Übrigen dem allgemeinen Verständnis von Kreativität. Demnach wäre der Autor – ob Gott oder Dichter – der, welcher etwas aus nichts schafft, der, dem das Werk – oder die Welt – zuzuschreiben, vielleicht anzulasten ist. Korrekt wäre aber auch die Überlegung, dass aus nichts nicht etwas geschaffen werden kann; dass schon immer etwas da sein muss, damit anderes, Neues entsteht.
In einem seiner Sudelbücher (Heft F) hat Georg Christoph Lichtenberg diesen Sachverhalt ziemlich grob wie folgt verallgemeinert: «Man hat griechische und lateinische Bücher eingeführt, so wie die arabischen Hengste in England, man könnte den Stammbaum manches Buchs so angeben, wie die Engländer die von ihren Pferden.»
Diese Sicht der Dinge wäre durch die Wortbedeutung von auc­tor gedeckt, der im Lateinischen nicht als Schöpfer, sondern als Mehrer, Aufbereiter, Nachbesserer ausgewiesen wird. Kreativität, so verstanden, schafft nicht neu, sie schafft Mehrwert; sie entdeckt, sie erfindet Vorhandnes, ist also eher eine Suchbewegung denn ein Schöpfungsakt.

 

aus: Felix Philipp Ingold: Gegengabe
zusammengetragen aus kritischen, poetischen und privaten Feldern

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