Nolens

In jedem Fall, und nicht etwa nur bei einzelnen radikalen Wegbereitern oder Repräsentanten der europäischen Moderne, gilt die von Adorno gern zitierte Selbstaussage Arnold Schönbergs, wonach Kunst nicht von Können komme, vielmehr von Müssen. Der Imperativ erwächst aus der Eigengesetzlichkeit des künstlerischen Materials, aus der Eigendynamik der Formen, Strukturen, Stoffe, die als immer schon vorgegebene nun eben nicht erfunden, nicht neu geschaffen, sondern variiert, modifiziert, ergänzt werden. Das Wollen, das Können des Autors besteht darin, jenem Müssen zu entsprechen und kraft solcher Entsprechung sich davon zu befreien; etwa in der Art vielleicht, wie Adorno es in seiner »Philosophie der neuen Musik« festgehalten hat: »… Tendenzen des Materials selbst, die bestimmend werden im Akt des Produzierens von Kunst generell … die Anweisungen, die das Material an den Komponisten ergehen läßt, und die dieser verändert, indem er sie befolgt.« Was womöglich von Freud her kommt, der im »Mann Moses«, mit explizitem Bedauern, die Autorität des Autors an das Werk delegiert, wenn er schreibt: »Die Schöpferkraft eines Autors folgt leider nicht immer seinem Willen; das Werk gerät, wie es kann, und stellt sich dem Verfasser oft wie unabhängig, ja wie fremd, gegenüber.«
Aber wie anders könnte … sollte ich Autor sein als gegen meinen Willen.

 

aus: Felix Philipp Ingold: Freie Hand
Ein Vademecum durch kritische, poetische und private Wälder

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00