Franzobel: Zu Franzobels Gedicht „Die Verzückung“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Franzobels Gedicht „Die Verzückung“ aus Franzobel: Luna Park.

 

 

 

 

FRANZOBEL

Die Verzückung

Wie ich in der Kirche Santa Maria della Vittoria stehe,
Die heilige Theresa, vom Engel durchbohrt, und in höchster, allerhöchster Verzückung sehe,
Steht eine vielleicht Neunjährige neben mir,
Glattes, vielleicht schwarzes Haar und Teiggesicht.

Es wollte der Herr, dass ich manchmal folgende Vision hätte,
Steht am mehlweißen Papier, das auf der Marmorbrüstung in einer Folie liegt,
Ich sah, steht da, einen Engel neben mir in leiblicher Gestalt
Was ich sonst nicht sehe, höchstens selten, ganz, ganz selten,
Steht in Französisch, Englisch, Deutsch.
In dieser Vision aber gefiel es dem Herrn, dass ich ihn folgendermaßen sähe,
Also wie folgt:
Er war nicht groß, sondern eher klein sogar, aber sehr schön.
Das Antlitz war strahlend, eine Sonne, wie, denke jetzt ich, das neunjährige Teiggesicht da neben mir,
das am Opferstock rumspielt, an den Schaltern der elektrischen Kerzen.
Dass er einer, nun wieder ganz in der Theresa, er einer von den sehr erhabenen Engeln zu sein schien,
Die sich in der göttlichen Glut, im Himmelsfeuer, zu verzehren scheinen,
Steht da auf Spanisch, Russisch und Japanisch,
Es müssen die sein, die man Cherubim nennt.
Cherubim. Nein, Pokemon, tönt es aus dem neunjährigen Mund.
Denn die Namen sagt man mir ja nicht,
Doch sehe ich wohl, dass es im Himmel von Engeln zu Engeln große, große Unterschiede gibt,
Und wiederum zwischen den einen und den anderen von ihnen,
Und den anderen vom einen,
Lese ich, da in der Kirche Santa Maria della Vittoria stehend,
Die Visionen der heiligen Theresa von Avila, und betrachte, augeneingewinkelt zwar,
Die Neunjährige neben mir, wie sie am Opferstock
Den Glühbirnkerzen Licht gibt, lacht, sie anbläst, abschaltet dabei
Sie jauchzt vor Glück, während ich lese;
Ich sah in seinen Händen einen langen, goldenen Pfeil,
An dessen Eisenspitze es wie Feuer schien,
Mir war, als würde er ihn mir einige Mal ins Herz stoßen,
Stoßen, Stoßen, tief, tiefer, noch tiefer hinein,
So dass er biss, bis in die Eingeweide drang,
umrührte meine Därme, mir die Milz durchstach, Bauchspeicheldrüse, Leber,
Die Gebärmutter sogar.
Und beim Herausziehen war es mir, als würde er sie mit herausziehen, meine Innereien, mein Mich.
Wobei er mich ganz aufgezehrt zurückließ,
ganz aufgebraucht, offen, wund und ausgeflossen.

In großer Liebe zu Gott, schaue ich jetzt auf, sehe
Da, am vordersten Altar in der Santa Maria della Vittoria,
Die heilige Theresa von Bernini, wie sie schmilzt,
wie alle Glieder aus ihr rinnen, Finger, Zehen, und der Engel, den Eisenpfeil da in der Hand, er grinst,
Grinst wie die Neunjährige neben mir am Opferstock, die gar nicht weiß, was sie da tut,
Wahrscheinlich denkt, sie spielt,
Dabei gibt sie doch den Kerzen Licht und macht es wieder aus.
Und an und aus und aus und an.
Und grinst dabei, die kleine Hure.
Da in der Santa Maria della Vittoria,
wo die heilige Theresa, vom Engel durchbohrt, Verzückung erlebt,
Ich daneben stehe, lese;
Es war der Schmerz so groß, so groß,
Dass er mir die erwähnten Seufzer verursachte,
Und die Süßigkeit, die mir diese äußerst heftigen Schmerzen verursachte
War so übermäßig, so übermäßig, so überübermäßig, dass man wünscht, es möge
nie aufhören, niemals,
steht in Französisch, Englisch, Deutsch,
Dass man sich in seiner Seele mit nichts anderem als nur noch mit Gott zufrieden gibt.
Die Neunjährige grinst, wenn ein Licht angeht,
Und an und aus und aus und an.
Und ein paar Jahre noch, denke ich, dann wird auch sie, ihr Teiggesicht,
wie die Theresa da in der Verzückung stehen und schreien,
Vor Verzückung schreien,
Es ist kein leiblicher, kein leiblicher, sondern ein geistlicher, ein geistlicher
Gedankenschmerz, kein Schmalz.
Obwohl der Leib zuweilen Anteil hat, oft sogar starken.
Es ist die süßeste Liebkosung,
Die es da gibt zwischen Mensch und Gott, süßeste,
Dass ich bei seinem Geiste darum bitte, Bitte,
Er möge sie auch dem zu schmecken geben
Der „Schmalz“ meint, oder dass ich lüge,
Wenn ich da in der Kirche Santa Maria della Vittoria stehe,
Die heilige Theresa, vom Engel durchbohrt, und in höchster, allerhöchster
Verzückung sehe, etwas daneben die Neunjährige, die nun geht,
Ihrer Mutter hinterher, die all die Zeit, unbemerkt von mir,
Vielleicht gebetet hat. Wahrscheinlich nicht.

 

3 Bilder der Verzückung

 

 

Anmerkung

Der Orgasmus ist eine der letzten, vielleicht überhaupt die allerletzte gesellschaftlich tolerierte Ekstase, in der alles außer Kraft gesetzt werden, alle Logik und Ordnung aufgehoben werden darf, eine Verzückung, mit der auch die Religion seit Jahrtausenden ihre Schäfchen fängt, die auch meine Poesie begeistert nutzen will. Obwohl die Pornographieindustrie nicht müde wird, Orgasmen zu filmen, ist die eigentliche Verzückung doch noch seltsam undokumentiert, und auch die Literatur, soviel Höhepunkte sie auch beschrieben haben mag, hat mich nur selten überzeugt.

Wie aber kommt meine Verzückung nun zustande? Über Aufreizung? Entblößungen? Nein, der Rhythmus ist’s, der einen einsaugt und in die Höhe spült, der Rhythmus treibt zum Höhepunkt, rückt der großartigen Bernini-Skulptur auf den Marmor-Pelz. Dotto-ho.

Aus Manfred Enzensperger (Hrsg.): Die Hölderlin Ameisen, DuMont, 2005

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