Gellu Naum: Zähne von Worten zermalmt

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Gellu Naum: Zähne von Worten zermalmt

Naum-Zähne von Worten zermalmt

ZYKLUS

Jeden herbst und jedes frühjahr
zog großvater mit den schafen durch den
aaaaakarpaten-balkan-raum
hin und zurück
und die schafe machten mähh
auf diese weise ausdruck verleihend den
aaaaastummen gesetzen der migration

eines schönen tages starben die schafe

in seiner einsamen transhumanz
ließ großvater sich einen langen schnauzbart stehen
und trieb eine herde von steinen vor sich her

dann starb auch der großvater
sein schnauzbart wurde noch länger
die steine drangen in die erde ein
und rupften an seinem schnauzbart

 

 

 

EINE KNOPFLEISTE VERBEUGUNG VOR GELLU NAUM

Ich sah einmal auf der Buchmesse Gellu Naum,
wie er mit einem schwarzen Messer einen Apfel teilte,
René Magritte hatte große runde Knöpfe auf seinen Mantel genäht,
und senkrecht fielen schwarze Männer aus den buschigen Augenbrauen
von Gellu Naum.

Sirius dunkles Sinnieren ein Wintersechseck lag auf seinen Knien,
und Gellu Naum schaute mich an, diese große schützende Einsamkeit,
ein Antlitz am Hang. Knopfleiste Verbeugung, zuletzt
schwieg er, sagte fast nichts, Huldigungs-
briefe las er, mit offenem Mund und geschlossenen Augen.

Volker Sielaff

 

DIE STUTE DONAU
Für Gellu Naum

Krämpfe, Zittern, Gewahrsam am helllichten Tag,
der freie Fall als Form des Überlebens, die Münzbilder
einer alexandrinischen Zeit.
Ach! gerade gierte ich nach einem Regenschauer, einer Flutwelle,
einem Wolkenbruch auf der Landkarte der rumänischen Lyrik,
deren Flüsse umgeleitet
und deren Eisbrücken in Gerstenfeldern zerschellt sind.

Epimenides, siehe, ich bin eingetroffen! sagt Gellu Naum
(mittlerweile war Victor Brauner von den Wänden verschwunden,
die Surrealisten schienen an die Mache zu kommen);
ich preschte durch zukünftige sibirische Gefilde, rastete
bereits am Bug,
doch ein Zufall brachte mich auf den Weg zurück ins Land,
ich ritt eine rotzkranke, halbierte Stute,
eine scheckige Stute namens Danube.

Dann verging noch ein Augenblick, verging ein Jahrhundert,
Medea befahl mir (ich wusste, dass sie dahinsiechte) sie zu erdolchen, zu erschießen.
Meine Därme verknoteten sich, meine Zunge verhaspelte sich in Gedanken,
ich hinkte auf der Hand, mit der ich schrieb,
ertrug weder mich noch andere,
mehr noch, der Eimer des Himmels schlitterte, kippte und grub sich zur Hälfte
in den Boden des trikoloren, stummen Vaterlandes.
Damals fanden sich ein paar hilfsbereite junge Kerle aus der Gegend von Vâlcea,
von Teleorman, die sie im Nu ihrers verkümmerten Lebens und ihrer Haut entledigten;
die Haut warfen sie über den Widerrist eines Schimmels, der scheute,
doch meine Rückkehr zu den Rockschößen des Vaterlandes
wurde zum Parforceritt, ja Triumphzug.
Von nun an lag der Bug in weiter Ferne, ganz zu schweigen von den Kurilen
oder Wladiwostok.

Epimenides, siehe, ich bin eingetroffen! sagt Gellu Naum
(dem Kreter Epimenides fallen die Augen zu, bei stürmischem Wetter,
im ausgehöhlten Stamm einer Steineiche, wo er ein halbes Jahrhundert verschläft),
meine Stute Danube
ist jetzt ein Handschuh oder Halbschuh, mein Krieg –
ein Wald voller Wölfe.

Ioan Flora

 

 

Fakten und Vermutungen zur Übersetzerin

 

Fakten und Vermutungen zum Autor + Internet Archive + Kalliope
Porträtgalerie: Autorenarchiv Isolde Ohlbaum + Keystone-SDA +
Brigitte Friedrich Autorenfotos + deutsche FOTOTHEK
Nachruf auf Gellu Naum: Der Tagesspiegel

 

Gellu Naum im Gespräch.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00