DAS ZURÜCKERSTATTETE LEBEN
Es wehte kühl Dunkelheit kam auf und unser müdes
aaaaaDenken ertrank in seinen Buhnen
der Erdkern saugte seinen starken Schatten ans
aaaaaFirmament es gab kein Loslassen
wir dehnten uns auf dem Asfalt in kühler örtlicher
aaaaaBetäubung in die Betrachtung langsamer
aaaaaBewegungen
dort fing das technische mit dem mechanischen Prinzip gerade an sich gegenseitig zu verfinstern die Erfahrung der
aaaaaDunkelheit ihre erstaunliche Subversion
das Schlafmobiliar und schiere Angst hefteten sich an die
aaaaaFersen
unterschwellige Botschaften lösten sich im Auf und Ab des
aaaaaAtems deutlich trat ein Busen im Relief hervor
die Erscheinung bewirkte eine Umstülpung der Land-
aaaaaschaft uns bewachten die Hörner des Mondes doch
aaaaawir hielten sie für unsere Widersacher
es fielen keine Namen mehr und der Himmel stürzte nicht
aaaaaein wir wußten genau was zwischen uns die Erde träumte
jeder schlief in aller Ruhe und keiner blieb in seinen Grenzen
beim Schreiben mit der Zunge auf Asfalt
Gellu Naum und sein Übersetzer Oskar Pastior erhalten den mit 30.000 DM dotierten Preis der Stadt Münster für Europäische Poesie 1999.
Nach Andrea Zanzotto / Donatella Capaldi, Ludwig Paulmichl, Peter Waterhouse (1993), Inger Christensen / Hanns Grössel (1995) und Zbigniew Herbert / Klaus Staemmler (1997) sind sie die vierten Träger eines Preises, der für ein dichterisches Werk und seine eigenständige Übersetzung vergeben wird.
Die Juroren Renate Birkenhauer, Michael Braun, Harald Hartung, Joachim Sartorius und Norbert Wehr waren einstimmig der Überzeugung, daß es sich bei dem Dichter/Übersetzer-Paar Gellu Naum und Oskar Pastior um eine selten glückhafte Verbindung handelt.
Beide – der in Paris vom Surrealismus initiierte Rumäne und der aus Rumänien stammende, der französischen Oulipo-Gruppe angehörende Deutsche – sind poetische Transit-Reisende, beide sind Dichter und Übersetzer.
Antipoden als Dichter, und Geistesverwandte als Übersetzer: eine aufregende, produktive Konstellation! Sie hat sich u.a. in Black Box (1993) niedergeschlagen und in einem zweisprachigen, jüngst erschienenen Band: Rede auf dem Bahndamm an die Steine (1998).
Gellu Naum, 1915 in Bukarest geboren, ist der Nestor der rumänischen Avantgarde, der letzte lebende Surrealist, einer der großen alten Männer der europäischen Poesie.
Nachdem er 1938 in Paris die Bekanntschaft André Bretons gemacht hatte, wurde er in Bukarest zum Mentor einer Gruppe um Gherasim Luca, Paul Paun, Virgil Teodorescu und Dolfi Trost. Das Zentrum der surrealistischen Bewegung habe sich durch sie nach Bukarest verlagert, lobte Breton die Lebendigkeit, Produktivität und den Reichtum der Gruppe. 1947, nach der kommunistischen Machtergreifung, wurden ihre Aktivitäten und Publikationen verboten.
Erst 1968, während einer Tauwetterperiode, konnte wieder ein Band von Naum erscheinen. Seither hat er, ständig bedrängt und zensiert, zahlreiche Gedicht-, Prosa- und Kinderbücher, Theaterstücke und Marionettenspiele geschrieben, außerdem Werke von Diderot, Kafka, Beckett, Char, Gracq u.a. ins Rumänische übertragen.
„Die Poesie abschütteln, indem man Poesie macht“ – unter diesem Motto steht Gellu Naums gesamtes dichterisches Werk. Er hat mit dieser Maßgabe eine unkonventionelle Poetologie entwickelt, die totale Eigenständigkeit beansprucht, alles tradiert Poetische ablehnt und die Dichtung als radikal individuelle Ausdrucks-, Erkenntnis- und Seinsweise begreift.
Trotz seiner Unabhängigkeit, hat er sein ganzes Werk hindurch nach einem eigenen – naumschen Äquivalent für Bretons Begriff von der „konvulsivischen Schönheit“ gesucht. „Einzig und allein die Sprache des Poeten“, so sein Credo, „inkohärent noch und vage, diese Sprache der Perturbation, nur sie handelt und verändert.“
Naums Gedichte sind durch und durch poetische Aneignungen der Welt. Sprunghaft assoziativ, somnambul, einer Logik des Traumes folgend, kühne Metaphern findend, evozieren sie historische Legenden, Landschaftsbilder, mystische Offenbarungen und Erinnerungen; zugleich sind sie codierte, wie in einer Geheimschrift verfaßte Pamphlete, politische Kampfschriften und sozial kritische Grotesken.
Der erste, der Gedichte von Naum übersetzte, war Paul Celan. Doch erst Oskar Pastiors dreißigjähriger Zwiesprache verdankt sich die Übertragung zweier eigenständiger Bände. Pastior hatte Athanor, den 1968 erschienenen Gedichtband Gellu Naums, im Gepäck, als er Rumänien verließ. Es sollte ein Schlüsselwerk für ihn werden, Anlaß für ein fortwährendes Lesen und Übersetzen.
Oskar Pastior, der als Dichter ein Sprach-Alchemist von hohen Gnaden ist, hat Zeit seines Lebens Autoren anderer Sprachen seine übersetzerische Stimme geliehen: u.a. Petrarca, Chlebnikov, Sorescu, Claus, Kusters, Perec und Mathews.
Bei seinem Zwiegespräch mit Gellu Naum ist ihm, dem übersetzenden Dichter, eine Gratwanderung gelungen: mit absolutem Gehör und Einfühlungsvermögen sich in den Dienst eines anderen stellen – ohne sich selbst doch ganz zu verleugnen! Entstanden sind getreue Übertragungen, in denen zwischen den Zeilen – dennoch etwas vom unverwechselbaren Pastior-Tonfall mitklingt.
Renate Birkenhauer, Michael Braun, Harald Hartung, Joachim Sartorius, Norbert Wehr
Was ist die Welt? Wir bewohnen sie und sind uns ihrer bewußt, warum, um alles in der Welt, befragen wir sie nicht? Warum überlassen wir die Frage Heiligen und Narren und, im Ernstfall, den Dichtern unter den Physikern und Kosmologen. Dort aber, wo auf ernsthafte Weise gespielt wird, in der Kunst, wird sie mit Vorliebe obskurem Gesindel in den Mund gelegt, Ironikern, Nihilisten, Teufelbündlern.
Jean Paul gibt sie dem Teufel selber auf, und siehe da, der Teufel ist nicht im Bilde. Die Welt könnte, schlägt er vor, eine Sackgasse in der Stadt Gottes sein, eventuell auch bloß eine Provinzstadt des Planetensystems. Sie könnte das Laufgestell der kindlichen Menschheit sein; die Kulisse für eine andere Welt, die unser Publikum ist; eine Dunkelkammer, in die Bilder einer schöneren Welt projiziert werden, oder der Zähler zu einem unbekannten Nenner. „Wahrhaftig“, schließt er, „ich sage, sie ist fast gar nichts.“
In Wahrheit redet er um den heißen Brei herum und weiß sich nicht anders zu helfen, als die alten Vorstellungen von der Gottesstadt nachzubeten, von den Weltzeitaltern, dem Welttheater, Weltspiel und der Weltharmonie in der Einheit der Gegensätze, einer diesseitigen Nacht- und jenseitigen Lichtwelt. Der Teufel findet keine für unsere cartesianische Logik befriedigende Erklärung, also rettet er sich in die Logik der Phantasie. Beim Schritt in die metaphysische Betrachtung entläßt er die Sprache aus ihrer abbildenden Funktion und hilft sich mit stellvertretender Sprache. Er nutzt die emphatische Funktion des Bildes, wo die Fragen unseren methodischen Mitteln der Wahrheitssicherung nicht zugänglich, aber gegeben sind, unabweisbare Anhaltspunkte eines Ganzen der Realität, des Absoluten. Die Zuständigkeit für solche Fragen haben sich einst die Theologen und Philosophen mit der Kunst geteilt. Als letzte Metaphysiktreibende ist die Kunst übriggeblieben.
Wo die Literatur dem allgemein logischen Fahrweg des Sinns folgt, ist sie im Umgang mit dem Unverfügbaren, Ungewußten, Gegenfaktischen auf Kunstgriffe angewiesen. Dazu gehören Gattungen, Stil- und Strukturphänomene, Sprachmodelle wie das Erhabene, das Phantastische, Hermetische, die Parabel, aber auch logische Engführungen wie das Paradox, die Tautologie, Antithese und allen voran die übertragene Redeweise des Teufels: die Metapher.
Der Teufel antwortet verblümt.
Was aber ist die Welt unverblümt.
Die Frage führt ohne Umwege zu dem aufständischen Fähnlein auf der oppositionellen Seite der Kunstfront, wo das Bezugssystem Sprache kein allgemeines mehr ist und kein sinnlogisches, wo die Unschuld des Verstehens und der Zwang zur Fiktion bei fundamentalen, aber nicht erfahrbaren Sachverhalten endet. Sie führt zu Gellu Naum und Oskar Pastior.
Gellu Naum: „Auf den Hügeln der Welt“
Heruntergestürzt wie ein Trumm mit steinernen Ohren war ich
auf die Hügel der Welt in die Feuchtigkeit umkreisender Gesten
innen – nichts als Wasser und Nacht
und der taube Sproß hämmerte wutentbrannt auf dem Klavizimbel.
Das sind einfache Aussagen, scheint es. Die Welt ist unten. Sie ist ein dunkles und nasses Lokal voll flutenden Lebens ohne Kennzeichen, ungeschaffen, unausgebildet. Der in die Welt Gefallene bietet dem Nichts die Stirn. Der Leere begegnet er mit einem komplexen Akt gesellschaftlichen Verhaltens. Er macht sie zum Zuhörer seiner Kunst. Er implantiert ihr seine Formwelt. Er setzt einen Anfang. Das ist ein Selbstbildnis des Künstlers als Demiurg.
Das Gedicht ist ein in seiner Lakonie unübertrefflicher Schöpfungsbericht. Seine konkreten Aussagen decken sich mit dem Ursprungsgeschehen in altägyptischen Kosmogonien. Dort ist das Urgewässer die Vorwelt, aus deren Rohstoff der autogene, aus sich selbst entstandene Weltschöpfer die Urhügel macht, bevor er den Himmel aufrichtet und die Erde ausbreitet.
Der in die Welt herabgestürzte Klavizimbelspieler gibt sich mit der Wahl des barocken Tasteninstruments als Polyphoniker zu erkennen. Sein Weltkunstwerk hat als kontrapunktisches Konzert seine Harmonie in sich selbst. Damit vollzieht er im Reich der Töne denselben Schöpfungsakt wie der altägyptische Re, Atum, Chepri oder auch Re-Harachte genannte Demiurg, der als Sonne, Hauch des Alls, lichterfüllte Luft und dynamische Kraft die Welt in Himmel und Erde, Tag und Nacht, Wasser und Land, Licht und Finsternis scheidet. Er ordnet das im Chaos Ununterscheidbare zu Gegensätzen. Schöpfung ist, hier wie da, eine kontrapunktische Komposition, in der jeder punctus seinen contrapunctus hat, erst ihr Widerspiel macht das Werk harmonisch.
Gellu Naums Welt ist sein Werk. Darum bedarf er keiner poetischen Umwege, keiner Drittmittel, keiner Metaphern bei ihrer Bestimmung. Das ist das Gemeinsame, das ihn mit dem Materialkünstler Oskar Pastior verbindet: die Wörtlichkeit, eine Sprache, die ihre Wirklichkeit im Gedicht selbst herstellt.
Oskar Pastior: „Allgemeine Betrachtung ueber das Weltgebaeude“
Unter dem Galactaeer gebeugt – die ein halbes Webel
am Ball des Achtel Gebube. Wenige ruede Untertage.
Auch wenig Labsal am Berge der gedeuteten Beutel.
Am Rauch bestellt dein Ab-Auge Duebel gegen Werte.
Eingebleute StraucheIwale, Magenbaeder, Budget,
durch Basteleien am Tage gebuegelte Wunder-Albe.
Weil Tagnaechte am Gebaeude, und Sterbegebruell,
geben sich Brut, Webe, Maut elegantere Geduld-Aale.
Eingeschaltet beben Wuermelbude, Dualaggregate,
Multischallgegenden, Wege der Taube ueber Ata Be.
Das Eigelbe der Meuchelwabe – entgegen der Tabulatur.
Das Gedicht, dessen Titelzeile aus Hebels Erzählungen des Rheinländischen Hausfreundes stammt, ist ein Anagrammgedicht. Durch Vertauschung der Lettern entsteht aus der Matrix des Hebeltitels ein Gebilde, dessen Technik der Rekombination es als Perpetuum ausweist. Doch die Prozedur befreit die demiurgische Potenz der Sprache. Das Gedicht produziert Sinnrudimente, Echos, ja eine Welle von Bedeutungen und fast so etwas wie einen Zusammenhang. Ein „unter dem Galacteer gebeugtes halbes Webel deutet, bleut ein, strauchelt, bastelt und schaltet Aggregate ein, daß die Bude bebt“ – gegen die Notierung einer apokryphen kontrapunktischen Komposition, die als Schöpfung dem Multischallchaos gegenübersteht. Denkbar wäre ein kombinatorisches Lesen auf der Grundlage aller Sprachen der Welt, das den Rest entziffert.
Da bei den 41 Elementen des Hebeltitels eine astronomisch hohe Anzahl von Permutationen möglich ist, wäre nicht auszuschließen, daß die auspermutierte Zeile einem Inhaltssystem auf die Spur käme. Die uneingeschränkte, von keinem Vernunftsystem, keiner Orthodoxie kontrollierte Permutation hat aber zur Voraussetzung, daß alle Universen als möglich gedacht werden können und ihre Zahl so unermeßlich ist wie die aller möglichen und all jener Sprachen, die noch nicht erfunden wurden. Hier streift die Kombinatorik das Undenkbare, daß mit Sprache der Kosmos zu durchdringen wäre. Die Kombinationskunst wäre dann eine profane Methode, die göttliche Kombinatorik nachzuahmen.
Oskar Pastior ist kein Sprachmetaphysiker. Er beschränkt sich auf elf Verszeilen; doch mit ihnen legt er die Spur in ein Weltreich der Sprache, das mit Gellu Naums Erster Welt die Harmonielehre teilt und die Überzeugung, daß die Poesie dem positiven Wissen der Naturwissenschaften überlegen ist. Auf dem Feld der Weltbestimmung hat Jean Pauls Teufel in Gellu Naum und Oskar Pastior machtvolle Gegenspieler.
Sibylle Cramer
Oskar Pastior liest auf dieser Aufnahme seinen Rundfunk-Essay „Meine Gedichte“, in dem er eine Poetologie des Erinners und Hörens im Durchgang durch poetische Sprachschichten und Traditionen entwickelt. Es werden Gedichte von u.a. Otto Nebel, Quirinius Kuhlmann, Clemens Brentano, Friedericke Mayröcker, Friedrich Hölderlin und Unica Zürn rezitiert. Raoul Hausmann, Kurt Schwitters und Paul Wühr sind mit O-Tönen zu hören.
Oskarine ist ein Gedicht-Generator von Ulrike Gabriel, der auf den Gedichten von Oskar Pastior basiert. Jedes Gedicht spricht sich selbst – immer neu und mit der Dichter-Stimme.
Gellu Naum im Gespräch.
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