Hans Thill / Caroline Rudolph (Hrsg.): Stillleben mit Crash

Mashup von Juliane Duda zu dem Buch von Hans Thill / Caroline Rudolph (Hrsg.): Stillleben mit Crash

Thill und Rudolph (Hrsg.): Stillleben mit Crash

IN ABSENTIA, 2000

Herzensschatzi, komm. Bim, bam, bom, Phantom, Symptom,
monochrom. Fähre im Strom

zu hellerem Licht, zu lichterer Helle, erleuchteten
Ärzten. Heller, heller, krähts

Hähnchen mit verkleisterten Federn. Leise. Schmirgeln im Schuh,
in sedimentstarren, kaum

fruchtbaren Feldern. Ich erfind ein Gedicht, tipp einen Brief, drechsel
mich rein. Ich glaub ans Gedicht. Gradweise

sättigt das Sprechen. Ich schmelz Felsen, Fossil, zermalm Pflaster,
stottre. Herzensschatzi, komm,

omm. Gatter, Tratsch, Erträge. Pfähle. Knebel, Knödel, Blut
und Blutsverwandte in erbärmlichem Zustand. Heller?

Heller? Hennen scharren herum, wir wuchern zu mit Gefieder. Was ist passiert,
dass du Eier scheißt? Hei? Jo. Jausen

haben sie leckere. Hellere. Helleres Licht. Sticht an der Ferse. Unter
der Decke. Prinzessin auf dem Körnchen

Staub, Schotter, Blut. Sie blutet. Schreddert karierte Blätter. Gitter
Fenster. Vögel scheißen Eier

aufs Pflaster. Pflaster auf Pflaster auf Pflaster Hafer.
Carmen. Habanera. Oper

Opfer. Prost, Bloody Mary. Maizähnchen, ausgerissene
Härchen. Schmirgel und Blut. Licht

zwischen Zehen. Stopp. Tock-tock. Stopp. Herzensschatzi,
komm. Bim-bom. Brom. Kalium

Bromid. Schwitze. Später Kiel, verknickte Feder. Mehlschwalbe
baut Gitter aus Schmirgel und Speichel.

Seil. Drechseln sich ins Fleisch. Stirn. Gering, gering. Rinnsal. Nirgends
Licht, und ich ohne Schuhe. Schleim

statt Schmirgel. Triefende Hühner picken träufende Krumen. Kauen
Krume. Arzt kaut am Federkiel,

schaukelt. Saugt. Sau! Halts Maul. Lauf. Lauf, Mund zu
im Nebel. Überm Becherchen Milch,

unterm Federbett. Licht. Künstlich. Merks dir. Du stotterst, nirgends
gewittert Sauwetter. Liebe ein trotziger

Vogel. Ein Hähnchen. Das kräht und pickt. Schmirgelbäder
verzeichnen Zeit. Bim-bom,

Herzensschatzi, komm. Fähre im Strom schwimmt fort. Ich schwimm fort
und schwimm in Gedichten. Schmirgel

unter den Fersen. Zeit verkleistert am Federansatz. Phantom
fantasiert. Langt ans Gitter,

an Blätter. Packeis. O Carmen, weissage mir karminrotes
Blut. Helleres. Helle mich auf,

Herzensschatzi. Komm. Doppelherz. Doppelgänger,
Doppelschmertz. Nirgends kein Gedicht, weißt nicht,

glaub keinen Tränen. Bim-bom, Krähen. Komm komm komm.

Katarzyna Fetlińska
Übersetzung Daniela Seel

 

 

 

„Zwischen den Zeilen“

– Gedanken zur Form der Interlinearübersetzung. –

I.
Polen ist ein Land, das trotz seiner geografischen Nähe zu Deutschland für viele Deutsche weiterhin in kultureller Ferne liegt; ein Land, das seine Literatur verehrt, diese aber nur selten außerhalb der Grenzen des eigenen Sprachraums bekannt machen kann. Dieses Übersetzungsproblem liegt nun weniger in der Qualität der polnischen Literatur begründet – die Nobelpreisträger Henryk Sienkiewicz, Władysław Reymont, Czesław Miłosz und Wisława Szymborska zeugen von ihrem Weltrang – als in der eigentümlichen Geschichte Polens, die den polnischen Schriftsteller stets dazu genötigt hat, der Losung zu folgen: „Erst leben, dann spielen“ – so Marcel Reich-Ranicki.
Die Eigentümlichkeit dieser Geschichte besteht darin, dass Polen vom Ausgang des 18. Jahrhunderts bis zum Ende des 1. Weltkriegs von der politischen Landkarte Europas verschwunden war – und nach dem 2. Weltkrieg bis zur Wende in Moskauer Hand lag. Vor diesem Hintergrund überschritt die Rolle des Schriftstellers das rein Ästhetische: Als Verkörperung nationaler Bestrebungen und des Freiheitskampfes wurde er zu einer fast-religiösen, moralischen Autorität. Diese politische „Dienstpflicht“ der polnischen Literatur, insbesondere der polnischen Poesie führte allerdings dazu, dass sie stets gegenwartsgebunden, das heißt: verstrickt in die unmittelbaren lokalen Umstände blieb. Damit war sie für fremde Leser letztlich uninteressant, da sie ein besonderes Verständnis der polnischen Realität voraussetzte. Verstärkt wurde diese Gegenwartsgebundenheit durch die Zensur, welche zwischen dem polnischen Autor und dem polnischen Leser eine Art Geheimbündnis entstehen lassen hatte. Die literarischen Texte wurden so „verschlüsselt“, dass nur diejenigen, die in den Code eingeweiht waren, diese Texte auch „entschlüsseln“ konnten. Angesichts dieser politischen Inanspruchnahme des polnischen Schriftstellers und der polnischen Literatur – sei es aus propagandistischen oder emanzipatorischen Motiven – ist es wenig überraschend, dass die Umbrüche von 1989 nicht spurlos an der polnischen Lyrik vorbeigegangen sind. Wie schwierig es ist, die Veränderungen, die sich seit der Wende in der polnischen Lyrik vollzogen haben, in wenige Worte zu fassen, davon zeugt die Verschiedenheit der in diesem Band versammelten Autoren selbst. Generell lässt sich jedoch sagen, dass sich die Erwartungen an die Poesie in Polen spürbar gewandelt haben: Von der Dienstpflicht befreit, erwartet man von ihr nicht mehr Antworten auf moralische Fragen, keine existentiellen Anschauungen und keine Erleuchtung. Zu beobachten ist vielmehr ein allgemeiner Normalisierungsprozess, der die Dichtkunst von äußeren Zwängen entlastet und ihr die Möglichkeit gibt zu „spielen“, das heißt sich auf sich selbst und auf die Sprache zu besinnen. Wenn auch politische und gesellschaftliche Probleme immer wieder zum Thema werden, so geschieht dies unter globalen und nicht mehr nur lokalen Vorzeichen. Diese allgemeinen Veränderungen in der polnischen Lyrik zeigen sich auch in den Gedichten der hier vorgestellten Autoren: So zeichnen sich die Texte von Tomasz Różycki durch deutliche kulturkritische Obertöne aus, indem immer wieder alptraumartige Bilder in Form von Zerstörung, Flut, Klimawandel und historischen Katastrophen evoziert werden. Distanz zum kulturellen Mainstream kommt auch in den Texten von Jacek Podsiadlo, ein Vertreter der in Polen berühmten bruLion-Generation, zum Ausdruck: Seine Lyrik geht von Alltagserfahrungen aus, affirmiert das Private und Authentische, distanziert sich von öffentlichen Institutionen und findet ihren Stoff in existentiellen Themen. Diese kulturkritische Tendenz wird im Werk von Krzysztof Śliwka fortgesetzt: Charakteristisch für seine Texte sind seine schlichte, schnörkellose Sprache, in der alltägliche Erfahrungen, aber auch der Rausch lyrisch verarbeitet werden. Besonders auffällig sind die wiederholten Bezüge zum amerikanischen Jazz und die Ablehnung von Konsum- und Jugendwahn. Anders die Gedichte Justyna Bargielskas: Hier sticht nicht ein kritischer Gestus hervor, sondern eine lyrische Verschränkung von Tod und Leiblichkeit in surrealistischen Bildern. Auch Jacek Dehnels Poesie unterscheidet sich von den ersten drei genannten Autoren: Typisch für ihn ist eine Orientierung an der Vergangenheit, die sich durch starke Bezüge zur Tradition und ihrer formbetonten Sprache manifestiert. Die Besinnung auf formale Aspekte kommt bei der jüngsten Autorin Katarzyna Fetlińska noch sehr viel deutlicher zum Vorschein: Es ist vor allem die sinnliche, klangliche Dimension, die für ihren Zugang zur Sprache und zur Poesie entscheidend ist. Wesentlich sind außerdem die vielfältigen Bezüge zur Philosophie, bildenden Kunst und anderen Sprachen.
Inwiefern sich die Veränderungen in der polnischen Gesellschaft und Kultur auf die Rezeption der polnischen Literatur in Deutschland auswirken, bleibt abzuwarten. Sicher aber ist, dass Übersetzungen eine Voraussetzung dafür sind, dass eine solche Rezeption überhaupt stattfinden kann. Denn zugänglich ist uns die polnische Literatur, wie jede andere auch, deren Sprache wir nicht mächtig sind, nur in Übersetzungen. Über diese bemerkenswerte Selbstverständlichkeit sollen im Folgenden einige Worte gesagt werden.

II.
Übersetzungen begegnen uns in unterschiedlichen Formen und Gestalten: Sie begegnen uns in gesprochener und geschriebener Sprache, als einzelnes Wort und ganzer Text, beim Hören und beim Lesen. Übersetzungen treten oft unabhängig von ihren Originalen auf: Sie treten auf als sprachliche Gebilde, die für sich stehen, verstanden werden können und nur selten darauf aufmerksam machen, dass sie Übersetzungen sind. So wie Bilder etwas zeigen, ohne aber das Wie des Zeigens sichtbar zu machen, verweisen Übersetzungen auf ein Original, aber nicht auf dieses Verweisen selbst. Dieser Grundsatz gilt auch und vor allem dann, wenn Übersetzungen in Anwesenheit ihrer Originale neben ihnen erscheinen: Denn diese Anwesenheit zeigt nur umso deutlicher, dass Übersetzungen „eigen-ständig“ sind.
Diese Eigen-ständigkeit von Übersetzungen führt dazu, dass über eine ganz bestimmte Form der Übersetzung kaum nachgedacht wird: Die sogenannte „Interlinearübersetzung“. Interlinearübersetzungen werden Wort-für-Wort-Übersetzungen genannt, die zwischen (inter) den Zeilen (lineas) eines Originals stehen. Durch diese Form ergibt sich die Möglichkeit, kleinste Textsegmente einander zuzuordnen und die syntaktische und morphologische Struktur des Originals in der Übersetzung sichtbar zu machen. Sie treten daher per definitionem immer nur zusammen mit ihren Originalen auf und gelten aufgrund ihrer Wörtlichkeit oft als „unverständlich“ und nicht „leserfreundlich“. Ihr praktischer Nutzen besteht in literarischen Zusammenhängen darin, als „Rohübersetzungen“ zu fungieren, die durch ihre spezifische Form das Versprechen abgeben, in unmittelbarer Nähe zum Original zu stehen, gleichsam eine Sprache zwischen den Sprachen zu verwirklichen. Aus dieser Zwischensprache der Interlinearübersetzung soll dann in einem schöpferischen Prozess die „eigentliche“ Übersetzung gewonnen werden, die als Werk für sich steht und die jeweiligen ästhetischen Erwartungen erfüllt. In ihrer Uneigenständigkeit, Unangemessenheit und Vorläufigkeit weist die Interlinearübersetzung stets über sich hinaus und fordert eine Form der Übersetzung, die als solche nicht mehr auffällt.
Ein anderes Bild der Interlinearübersetzung ergibt sich jedoch, wenn von ihrem praktischen Nutzen für einen Moment abgesehen wird. Gehen wir davon aus, dass eine Sprache zwischen den Sprachen, wie sie von der Form der Interlinearübersetzung suggeriert wird, nicht existiert, so kommt sie als eine paradoxe Form in Betracht, in der sich nicht die Gleichheit der Sprachen zeigt, sondern das, was der Philosoph und Theologe Friedrich Schleiermacher einst die „Irrationalität der Sprachen“ genannt hat: ihre prinzipielle Ungleichheit. Die Paradoxie der Form der Interlinearübersetzung liegt nun darin begründet, dass es gerade die von ihr hergestellte Nähe ist, die uns auf eine letztlich unüberbrückbare Ferne aufmerksam macht. Insofern verweist sie uns auf die grundsätzliche Bedingtheit und Vermitteltheit unseres Zugangs zum Fremden.

III.
Die Übersetzungen, die in diesem Band versammelt sind, sind auf der Grundlage von Interlinearübersetzungen entstanden. Diese wurden im Rahmen einer Lehrveranstaltung am Fachbereich für Translations-, Kultur- und Sprachwissenschaft der Johannes Gutenberg-Universität Mainz im Sommersemester 2013 zusammen mit Katarzyna Piasecka, Janina Jodynis und Agata Okońska erarbeitet. Ihnen und Peter Lenz, sowie Grazyna Heuser sei an dieser Stelle für ihre Arbeit gedankt. Die Interlinearübersetzungen dienten während der Dichterwerkstatt in Edenkoben als gemeinsamer Bezugspunkt für die Zusammenarbeit der polnischen und deutschen Dichter, aus der dann die „fertigen“ Übersetzungen hervorgingen. Wenden wir uns den Interlinearübersetzungen eigens zu, indem wir sie aus den übersetzerischen Zusammenhängen, in denen sie standen, herausgreifen, so erhalten wir nicht nur Einblick in einen Entstehungsprozess, der für gewöhnlich hinter den fertigen Übersetzungen verschwindet. Vielmehr kommen Interlinearübersetzungen als eigenständige Zeugnisse in Frage, in denen sich die Bedingungen unseres Zugangs zu sprachlicher Fremdheit bekunden.
Ein gutes Beispiel dafür, in welchem Sinne die spezifische Form der Interlinearübersetzung den Zugang zum fremden Text bedingt und auf welche Weise sprachliche Unterschiede als Unterschiede sichtbar werden, ist eine Interlinearübersetzung eines Gedichts von Jacek Podsiadło: 

Bękart – Bastard
żebrak – Bettler
słowo – Wort
ciało – Leib
Rano – Morgens
w wieczór – am Abend
we śnie – im Traum
w dublu – im Double
drżąc – zitternd
śniąc – träumend
łkając – schluckend
płonąc, blednąc – errötend, erblassend
łopian – Klette
chrzan – Meerrettich
lebiodę – weißer Gänsefuß
czosnek – Knoblauch
rwałam – pflückte ich
szłam – ging ich
tuliłam – umarmte ich
niosłam – trug ich

Es mag der Eindruck entstehen, dass eine Interlinearübersetzung des polnischen Originals relativ unproblematisch ist, da seine Struktur, die wie eine Aufzählung in Form einzelner Wörter daherkommt, sich einem Verfahren geradezu anbietet, das im Wort seine kleinste Sinneinheit findet. Gerade die für Interlinearübersetzungen typischen syntaktischen Auffälligkeiten kommen in diesem Beispiel nicht zum Tragen. Es scheint daher fraglich, dass uns gerade dieser Text Auskunft über die eigentümliche Form der Interlinearübersetzung geben kann. Da aber hier die Form der Interlinearübersetzung interessiert, soll von solchen und semantischen Aspekten abgesehen werden. Geht man also von ihrer Form aus, dann fällt auf, dass es gerade die Art und Weise ist, wie die Übersetzung dem Original räumlich zugeordnet ist, die ihm eine veränderte Gestalt und Struktur gibt: Das polnische Original wird horizontal „zerdehnt“. Die Abstände zwischen den einzelnen Sinneinheiten werden so groß, dass sie regelrecht als Elemente erscheinen, die nicht beieinander sondern nebeneinander stehen, sodass die Aufzählungsstruktur als solche erst in aller Deutlichkeit zum Vorschein kommt. Doch der polnische Text verändert sich nicht nur auf der horizontalen, sondern auch auf der vertikalen Ebene: Kolumnenartig stehen die einzelnen Sinneinheiten übereinander, türmen sich auf und erscheinen als eine Teilstruktur innerhalb der Gesamtgestalt der Interlinearübersetzung. Durch diese horizontale und vertikale Neuordnung werden nun auch spezifische sprachliche Differenzen zwischen dem Polnischen und dem Deutschen sichtbar: Die deutschen Ausdrücke sind länger, sperriger und ragen gegenüber den polnischen aufgrund der Großschreibung der Substantiva heraus, wodurch sie den horizontalen Lesefluss unterbrechen, der im Original durch die Kleinschreibung gewährleistet wird. Auch morphologische Differenzen zwischen den Sprachen machen sich räumlich bemerkbar: Als flektierende Sprache verfügt das Polnische im Unterschied zum Deutschen über finite Verbformen, die in der Regel ohne Personalpronomina auskommen, da die Verbindungen eindeutig auf die entsprechende Person (und Genus) verweisen. Daher wird aus rwałam, szłam, tuliłam, niosłam: pflückte ich, ging ich, umarmte ich, trug ich. Was im Polnischen eine Einheit bildet, wird im Deutschen getrennt. Mit anderen Worten: Im Deutschen beansprucht das Subjekt Eigenraum.
Diese kurze Beschreibung kann nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Sie soll vielmehr als Exempel dafür dienen, wie möglicherweise über die spezifische Form, Gestalt und Materialität von Übersetzungen nachgedacht werden kann. Diese Aspekte sind deshalb für unser Verständnis dessen, was Übersetzungen leisten, relevant, weil sie den Zugang zu fremden Sinngehalten auf eine spezifische Weise mitbedingen und strukturieren: Das, was uns in einer Übersetzung erscheint und erscheinen kann, ist wesentlich fundiert in der Form der Übersetzung. Daher rückt ein Nachdenken über Zusammenhänge dieser Art eine Dimension sprachlicher Fremderfahrung in den Vordergrund, die üblicherweise ausgeblendet wird, aber von fundamentaler Bedeutung ist: die sinnliche, materielle, körperliche Dimension. Eine solche Perspektive ist ungewöhnlich für die Reflexion über Übersetzungen, insbesondere Interlinearübersetzungen, da hierbei nicht nur semantischen Aspekten Aufmerksamkeit geschenkt wird. Versucht man das Verhältnis zwischen Original und Übersetzung innerhalb eines Treue/Freiheit-Spektrums anzusiedeln, wird von vornherein von der materiellen Dimension abstrahiert. Auf diese Weise können diejenigen Aspekte, die sich einer näheren Betrachtung von Interlinearübersetzungen aufdrängen, nicht zur Geltung kommen. Dabei ist es doch diese sinnlich-materielle Ebene, auf der sich die Unterschiedlichkeit von Sprachen zu allererst bemerkbar macht.
Sicherlich hängt es von den jeweiligen Sprachen und Schriftsystemen ab, welche Form eine Interlinearübersetzung annimmt und welche strukturellen Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Sprachen und Schriftsysteme in dieser Form sichtbar werden. So wären zum Beispiel Interlinearübersetzungen aus dem Arabischen ins Deutsche aufgrund der gegensätzlichen Schreib- und Leserichtungen aufschlussreich, weil hier der Zugang zum Original an ein „Gegen-den-Strich-Lesen“ gebunden ist, also einhergeht mit einer Verfremdung vertrauter Lesepraktiken auf der Ebene sinnlicher Wahrnehmung. Für uns bedeutet eine solche irritierende Erfahrung dann: Selbst auf dieser Ebene könnte alles noch ganz anders sein. In jedem Falle aber scheint es sinnvoll, Interlinearübersetzungen nicht allein als provisorische Werkzeuge zu betrachten, obwohl sie als solche gewiss Verwendung finden. Auch die Übersetzungen, die auf der Grundlage von Interlinearübersetzungen erarbeitet wurden, sind notwendigerweise von deren formbedingten Sinnvorgaben geleitet. Daher bietet eine Auseinandersetzung mit Interlinearübersetzungen nicht nur Einsicht in die konkreten Bedingungen literarischen Übersetzens sondern auch und vor allem: Einsicht in die Bedingtheit all unseres Zugangs zu Fremdem. 

Tomasz Rozmysłowicz, Nachwort

 

Über dieses Buch

Durch den Zusammenbruch des Sozialismus von ihrer „Dienstpflicht“ als Stimme der Humanität gegen die Diktatur befreit, stehen die jüngeren Autoren mitten im Leben: in lustvoll-kritischer Zeitgenossenschaft. Dabei ist die polnische Poesie nicht ärmer geworden, sondern vielgestaltiger, farbiger. Mit der nachdenklich-offensiven Justyna Bargielska, dem phantastisch-kraftvollen Tomasz Różycki, dem der Erfahrung des Alltäglichen zugewandten Jacek Podsiadło, dem aufsässigen Krzysztof Śliwka, dem Ästheten Jacek Dehnel und der blutjungen, genialen Katarzyna Fetlińska präsentiert die Anthologie die wichtigsten Stimmen der zeitgenössischen Poesie Polens in einem abwechslungsreichen Panorama, in dem auch auf die poetische Provokation nicht verzichtet wird.

Verlag Das Wunderhorn, Ankündigung

 

 

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Beitragsbild von Juliane Duda zu Richard Pietraß: Dichterleben – Hans Thill

 

Hans Thill liest sein Gedicht „Kühle Religionen“.

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