Karl Krolow: Zu Peter Gans Gedicht „Sprache“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

– Zu Peter Gans Gedicht „Sprache“ aus Peter Gan: Das alte Spiel. 

 

 

 

 

PETER GAN

Sprache

Sprache weiß alles,
bis man ihr’s sagt.
Nun kann sie alles:
Dürre, dann Dalles.
Ein Käuzchen klagt.

Was sie vermochte,
sie mag’s nicht mehr,
die Ausgekochte
häuft an, läuft leer:

läufige Sanduhr,
laufendes Band
Standläufer fand nur
Knochen im Sand.

 

Sanduhr und Zauberglas

Er nannte sich Peter Gan und hieß eigentlich Richard Moering. Der gebürtige Hamburger wäre in diesem Jahr neunzig Jahre alt geworden. Vor zehn Jahren starb er. Man konnte ihn sich eher in Paris als in Norddeutschland lebend vorstellen. In Paris traf ich ihn während der späten fünfziger Jahre: einen Herrn, einen Juristen, der Gedichte und Essays schrieb, der übersetzte, der sich in den Sprachen auskannte und vom Leben der Sprache und auch von ihren Grenzen wußte. Dies war eigentlich ein Hauptthema seiner vielen Gedichte. Seine distinguierte Klugheit verband sich mit hanseatischer Weltläufigkeit. Paris war für ihn die rechte Wahlheimat, so schien es. Er nahm die Sprache, drehte und wendete sie spielerisch-elegant wie einer, der Bescheid weiß, dem man nichts vormachen kann.
Mit der Sprache verfuhr er immer so, wie es virtuos Kenntnisreiche tun: leicht und ironisch. Es geschah präzis, wirkte aber gelegentlich fast lässig. Man könnte sagen: er entlockte der Sprache die Sprachfähigkeit, so daß sie – wie in diesem Gedicht, das ihr gewidmet ist – „alles“ konnte und zugleich Sprachelend und Sprachübermut („Dürre und Dalles“) zeigte. Dem „Nun kann sie alles“ wird ein „Sie mag’s nicht mehr“ entgegengehalten, die Misere beim Namen genannt. Das geschieht kurz und bündig, ohne Bedauern und so knapp wie möglich:

Die Ausgekochte
häuft an, läuft leer:

läufige Sanduhr,
laufendes Band.

Vergänglichkeit, Sprachvergehen, wie das Vergehen von Hören und Sehen, bleibt Peter Gans Thema. Anhäufung wird vom Leerlauf abgelöst. Beides bedingt einander, während das Perpetuum mobile Sprache („laufendes Band“) nicht zu sein aufhört.
Einer seiner letzten Gedichtbände nannte sich Soliloquia (1970): der Autor schien mit seinem „Spielzeug“, der Sprache, oft allein, und was er schrieb, hatte nicht selten den Charakter von Selbstgesprächen, Selbstbefragungen – auf die leichteste Art und Weise, geschwind und gescheit und immer höchst kunstvoll verschränkt. Es war eine „gebildete“ Lyrik, voller Anspielungen. Und wie dies beim Spielen mit der Sprache ist: dem Spieler wird mitgespielt. Er weiß, wie wenig und wie viel zugleich ihm in die Hand gegeben ist. Vor vielen Jahren hat der Schweizer Max Rychner Gans Gedichte charakterisiert und auf die „zauberische“ Leichtigkeit wie auf die dunkle Kehrseite verwiesen, das „Clair-obscur“ dieser Verse, ihre schillernde Schönheit, ihre Klarheit und ihre kühle Einsicht.
Gans Gedichte sind – wie das nebenstehend abgedruckte auch – oft Übungen zur Sprache, zuweilen mit einer gewissen trockenen Pedanterie, die aber stets fähig zur distanzierenden Ironie bleibt und nicht allein in spielerischer Gelehrsamkeit ihr Vergnügen findet. Mit zwei Zeilen umschreibt Gan einmal seine Situation:

Spottend spielt Dein leichter Reim
auf den schwierigsten Registern.

Er konnte übermütig und ein Spottvogel sein. Die französische Literatur zog ihn wohl aus diesem Grund besonders an. Er war „ganz bewußt und ganz befangen“, und er kostete Bewußtheit und Befangenheit in der mitunter federleichten Diktion aus, die ihm eigen war. Er überspielte auf diese Art und Weise die leise Resignation und Melancholie: beides funkelte wie in einem Zauberglas klar. Darin ist noch das Unterschiedlichste in scharfen Umrissen zu erkennen und in Ruhe zu betrachten, während die „läufige Sanduhr“ das Vergehen der Zeit nur beschleunigt.

Karl Krolowaus Marcel Reich-Ranicki (Hrsg.): Frankfurter Anthologie. Neunter Band, Insel Verlag, 1985

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