Konstantin Ames – Zu Norbert Langes Gedicht „Eine Postkarte von dort“

Mashup von Juliane Duda zu der Beitragsserie „Im Kern“

Im Kern

− Zu Norbert Langes Gedicht „Eine Postkarte von dort“ aus Norbert Lange: Das Schiefe, das Harte und das Gemalene – Neue Gedichte. −

 

 

 

 

NORBERT LANGE

Eine Postkarte von dort

Manche fochten mit Messer, andere mit Gabel,
ins Tal ging der Blick, den Berg abzutragen,
den Berg, stach die Gabel und hob ein Stück an.
Einige liefen seitwärts hangauf, im Sprint zur Burg hin,
manche steckten im Gehölz auf Gabelspitzen,
zwischen Kiefern ein Hesse, knackende Knochen,
und ein anderer, der den Ausblick dort oben beklagte,
die Augen geweitet, den Mund aufgerissen

gierig schlürfte die Gegend vom Löffel;
zur selben Zeit fochten dort welche noch tapfer,
andere rissen in sinnloser Geste die Arme schon hoch,
als einer der Münder sich darüber schloss.
Dann wieder spielen sie biographische Karten,
die Buben, Pike und Asse sitzen beim Schnaps.

 

Betrachtungen eines Politischen

Nach mehr als sechsjähriger Pause erscheint Anfang März 2012 Norbert Langes zweiter Gedichtband Das Schiefe, das Harte und das Gemalene (sic!) bei einer der ersten Adressen für zeitgenössische Lyrik, dem Wiesbadener Verlag luxbooks. – So ein Quatsch! Lange hat nicht pausiert! Lange hat viel übersetzt (zuletzt George Oppen und Charles Olson), einen Aufsatzband vorgelegt, Mitherausgeber der E-Zine karawa.net ist er außerdem – und hat eben sehr gründlich und skrupulös an seinen Gedichten gearbeitet. Ab und an war mir ein Einblick in die laufende Arbeit gestattet. Langes punktgenaue Schriftverrückung war schon in seinem Debüt Rauhfasern (2005) augenfällig und hat mich schon damals begeistert. Ein bestimmtes Gedicht, eben die „Postkarte“ aus dem Manuskript des neuen Bandes war mir sofort nah und ich fragte mich bald nach dem Grund dafür.
Schon prima facie tritt der Kontrast zwischen ausgesucht schlichtem Titel und dem immensen Echoraum zutage. Es ist nicht nur der Eremit von Sils-Maria, Friedrich Nietzsche, der hier aufgerufen wird, nicht nur das Pandämonium Germanicum des J.M.R. Lenz, die Besteigung des Mont Ventoux von Francesco Petrarca; es ist vielleicht auch die berüchtigte demographische Pyramide bzw. der demographische Brummkreisel; auf das Kanongedicht „Manche freilich“ bezieht er sein Schreiben ebenfalls. Allerdings macht Lange mit Hugo von Hofmannsthals Gedicht das, was er mit Vorliebe tut – er macht es nutzbar, indem er es umschreibt und umwertet. Die historisch überholte Allegorie von Gesellschaft und der entsprechende Habitus des Dichters, den Hugo von Hofmannsthal konstruierte, sehen wir von Norbert Lange in ein alpines Überbietungsszenario übertragen.
Alles andere als heruntergekommen ist die Organisation der Postkarte: Klanglich über Stabreime und Assonanzen, syntaktisch über Parallelismen, semantisch über Paradoxien und Verballhornungen von idiomatischem Sprachmaterial; „den Löffel abgeben“ und „Die Schlacht am kalten Büfett“ sind dabei nur die auffälligeren Redensarten, die Lange auseinandernimmt. Kurzum: Wir haben es hier also nicht mit einem narzisstischen Poème trouvé neusubjektiver Abkunft zu tun, noch weniger mit Agitprop oder vulgärmarxistischem Socialbeat, sondern mit genauer Form, innerhalb der tatsächlich etwas mit der Sprache gemacht wird. Lange unterlässt es, mit Versatzstücken oder Halbzitaten hysterisch um sich zu werfen, wovon Poetaster des sog. Underground oder großstädtische Salonzirkelchen nicht lassen können. Sei es aus einem Pathos der Distanz heraus, einem charakterlicher Vorzug somit, sei’s eine Fertigkeit, die er am meistens zu Unrecht geschmähten Leipziger Literaturinstitut („Institutsstil!“) erworben hat: Theoriefitness und daherrührende Vorliebe zum Trash wie für die Extravaganza ist das, was mir für Langes Personalstil kennzeichnend erscheint. Dahinter wittere ich demokratische Ansichten…
Blicken wir wieder auf die „Postkarte“: Neben den durch die Überschrift dominant gesetzten Bergtourismus treten gleich im ersten Vers zwei andere Bereiche der Lebenswelt: die kultivierte Nahrungsaufnahme mit Messer und Gabel und die handgreifliche Auseinandersetzung, das Ausfechten von Konflikten. Schlicht und banal das eine, existenzgefährdend das andere; für diese Lesart sprechen die weit augerissenen Münder und Augen, die knackenden Knochen, die zur Kapitulation hochgerissenen Arme. Zweifelhaft wird dann der touristische, der Wellness-Charakter des Ensembles, der mit „Postkarte“ in der Überschrift evoziert wurde.

Ein völliger Bruch mit dieser Technik des Gegenschneidens von Essens-, Leichen- und Bergsteigerbergen [An dieser Stelle muß ich mich damit begnügen, das Referieren auf filmische Vorlage zu erwähnen; im Falle des vorliegenden Gedichts: Das große Fressen, Hamburger Hill und gewiß der ein oder andere Heimatfilm in Louis-Trenker-Kulisse. Der Modus von Langes Bezugnahme auf Filme wäre gesondert zu zeigen. Schon in Rauhfasern war das Faible fürs Intermediale sichtbar: „(Nach einem Motiv bei Akira Kurosawa“ (S. 17), „Drei Tyrannen im Vorspann eines Dokumentarfilms“ (S. 46) und dergleichen mehr.] ist in den beiden letzten Versen zu beobachten.
Was hat es mit den „Buben, Piken und Assen“ auf sich, die mit hochprozentiger Begleitung biographische Karten spielen? Am ehesten wäre hier noch eine Verbindung zur Postkarte mit zugehörigen Klischees zu finden: Urlaubsidyll, Bierbäuche, Bonhomie beim Skat, der nicht gespielt, sondern unter fortgeschrittenen Exemplaren der Gattung Skatspieler ,gekloppt‘ wird. Die Redensart „Etwas von der Pike auf lernen“ darf man im gegebenen kompetitiven Szenario, ohne Überinterpretation zu riskieren, mitlesen. Klingt auch nach der Hierarchie einer Klimax: Fußvolk, Handwerker und Dichterfürsten. Wäre so, wäre da nicht die alles entscheidende Frage: wie heißt ,er‘ denn? Grand („Grang“) Hand oder Null ouvert?
Nach mehrmaliger Lektüre der POSTKARTE merkte ich, warum mir Machart und Thema dieses Gedichts dermaßen zusagen. Es erinnerte mich an ein anderes Gedicht von Norbert Lange. Die im letzten Vers erwähnten „Asse“ waren mir bestens vertraut: „da in den Bechern kreist der Selbstgebrannte“ heißt ein Vers aus „Richthofen 1918“. In diesem Gedicht wird der Mythos um den Heldentod des berühmtesten Kampfpiloten der kaiserlichen Luftwaffe, Manfred von Richthofen, demontiert. Die Propaganda beider Kriegsparteien wollte es, dass der „Rote Baron“ von einem kanadischen Jagdflieger im Duell [Im Engl. „Dogfight“, der Anfang des Gedichts „de Hunde, de Deutschen“ ist von daher gesehen recht sinnreich. Die Bezeichnung der Alliierten für ihre Feinde war „Hun“, „Hunne“; eine überlebensotwendige Anweisung für alliierte Kampfflieger lautete „Beware fort he Hun out of the sun!“] getötet wurde, was sich mittlerweile anhand ballistischer Analysen als falsch erwiesen hat. Das „Ass der Asse“ wurde von einem Infanteristen vom Boden aus tödlich getroffen und starb kurz nach einer Notlandung in feindlichem Gebiet. Von Pathos triefende Kriegsfilme werden dem Baron seitdem dediziert; eine genreprägende Flugsimulation wurde 1989 unter dem Titel Red Baron auf den Markt geworfen und war ein Kassenschlager; in Berlin trägt eine Straße in der Nähe des ehemaligen Flughafens Tempelhof noch immer den Namen des mehrfachen Mörders, der seinerzeit verehrt wurde, wie wir das heutzutage nur von Popstars und Filmsternchen kennen. Richthofens posthum veröffentlichten Tagebuchnotizen lässt sich weniger ritterliche Gesinnung entnehmen, als dies die schmachtigen Kriegsfilme zu seinen Ehren suggieren. [Manfred v. Richthofen: Der rote Kampfflieger. Eingeleitet und ergänzt von Bolko v. Richthofen. Berlin: Ullstein Verlag 1933. ] An solchen Geschichtsklitterungen und sozialtechnisch wirkungsvollen Ideologemen arbeitet Norbert Lange sich ab.

Konstantin Ames

Die Texte wurden entnommen aus: die horen, Heft 246, Wallstein Verlag, 2. Quartal 2012

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