Krohn Jestram Lippok: dear mister singing club

 

dear mister singing club

Mashup von Juliane Duda zu der CD von Krohn Jestram Lippok: dear mister singing club

Krohn Jestram Lippok-dear mister singing club

wurde zwischen Dezember 2008 und Dezember 2009 im Bleibeil Studio Berlin von Bernd Jestram aufgenommen und gemixt. Gemastert wurde im Januar 2011 von Bo Kondrem im Calyx Studio Berlin. Das Umschlagbild „origin of species“ und die CD-Zeichnung sind von Ronald Lippok. Das Layout erledigte Ralph Gabriel. Den Text „metall“ schrieb Clemens Kuhnert, „der zug am leibe“ ist von Bert Papenfuß, „imagine this“ bezieht sich auf ein Gedicht von Samuel Beckett. „unvermeidliches“ stammt von Jochen Berg und nutzt außerdem einen Teil des Liedes „Abrechnungstag 2“ (A. Krohn / T. Müller-Fornah / Ch. Russell / B. Verch).
„red nicht umn sinn rum“ verfasste Stefan Döring, „ihr könnt alle bei mir schlafen“ nutzt den Titel eines Kunstwerks von Thomas Kapielski, „über die klebrigkeit von sprengstoff“ hat Andreas Paul geschrieben. Die restlichen Texte, bis auf „halalalalija“ (palestinänsisches Volkslied), sind von Alexander Krohn. Mohammad Bakri singt bei „red nicht umn sinn rum“ und bei „halalalalija“. Die Musik ist von Alexander Krohn, Bernd Jestram, Ronald Lippok.

Distillery, Klappentext, 2013

 

Auf der einen Seite

zeigt das Album den Geist von Tarwater in alter Form, auf der anderen wirkt es wie einer weinseligen Schreibwerkstatt entsprungen. Ungezwungen gebrummte halbgute Dichtungen treffen auf hochversierte Kraut-Electro-Tracks.

Intro, November 2103

Alexander Krohn,

Berliner Musiker, Schriftsteller und Künstler, ist ein Mann jenes gepresst-heiseren Stimmvortrags, dessen sich Deutschrock-Interpreten über die Jahrzehnte immer wieder gerne befleißigen: Was bei Herbert Grönemeyer mitunter nach vokalverschluckenden Karate-Kampf-Ausrufen klingt und bei Sven Regener von Element Of Crime eher ein wenig krampfhaft der verrauchten Chansonbühne huldigt, soll immer eines signalisieren: Hier singt einer, der gelebt, gelitten, nachgedacht und folgerichtig nun Bedeutendes zu berichten hat. Dabei singt Krohn ein wenig wie ein balladesker Blixa Bargeld oder ein larynxoperierter Tom Waits: etwas heiser, etwas gepresst, aber doch ruhig melodiös.
Bernd Jestram und Ronald Lippok hingegen produzieren seit 1995 unter dem Namen Tarwater kühl strukturierte und von Melancholie durchzogene Elektronikmusik, für deren gesangliche Komplettierung man sich eher andersweltlich hauchende Japanerinnen vorstellt, keinen kehligen Prenzlberg-Poeten. So könnte die Zusammenarbeit der drei Musiker verwundern. Doch erfuhren alle drei im DDR-Punk-Untergrund ihre musikalische Sozialisierung: Krohn in der Pankower Anarcho-Szene der späten 1980er-Jahre, Jestram und Lippok in der exzellenten Art-Punk-Gruppe Ornament und Verbrechen.
Auf Dear Mister Singing Club geben sich Jestram und Lippok organischer als gewohnt, schön entspannt aufgenommene Analogsynthesizer, Gitarren, Banjos blubbern und rauschen zu gemütlichem Schlagzeug und Krohns warmem Bassspiel. Krohns Croonen von Dingen mit großer Bedeutung, aus eigenen Texten sowie von Dichterkollegen wie Jochen Berg, Stefan Döring oder Bert Papenfuß entnommen, passt insgesamt recht gut – besonders wenn es nicht ins Bedeutungsschwangere umschlägt, wie etwa im Stück „Unvermeidliches“ wo retro-hafte Kindermusikmelodien nicht die vielleicht gewollte und unbedingt notwendige ironische Brechung liefern zu großen gesanglichen Fragen („Was bleibt von unseren Taten?“), sondern eher Kabarettatmosphäre aufkommen lassen. „Verhaftet in unseren Schwächen“ lautet hier eine weitere Textzeile – „Abführen!“, mag man als allzu strenger Stilpolizist erwidern.
An vielen Stellen jedoch befreit die Musik durch ihre Stärken, etwa im Schnell-schunkel-Stück „Der Zug am Leibe“, in dem zu Banjoklimpern und Krautrock-Groove die Zeile „Der Zug am Leibe hat an mir seine Bleibe“ wiederholt wird, während Krohn Beschwerden wie „Alles muss man selber machen, sogar lachen“ nuschelt und so pünktlich zum Herbst eine unaufgeregte Anti-Hymne für die Mittlebenskrise kreiert. In diesem Zusammenhang ist auch schön, wie dem Stück „Baby sein“ aus der eher abgelutschten Abschlussbemerkung „Baby sein – ich würd’s gern“ das babysprachenhafte Teil-Sample „ürd’s ge“ als Loop in den Beginn gestellt ist. Ein tröstendes Beispiel dafür, dass auch dem von Lebensleid und Kneipendunst geprägten Sprechen des Erwachsenen ewig der Sehnsuchtszustand des babyhaft Unbewussten innewohnt.

Johannes von Weizsäcker, Spex, November 2013

Jenseits des Geheimtipps

Wie lebt es sich eigentlich als ewiger Geheimtipp? Die Antwort: nicht so gut. Denn Geheimtipp kann man nicht ewig bleiben, irgendwann ist man entweder erfolgreich oder nur noch ein ehemaliger Geheimtipp. Dieser zweite Zustand ist einerseits frustrierend, andererseits aber auch sehr befreiend. Alexander Krohn ist schon so lange nicht mal mehr ein Geheimtipp, dass seine Musik eine ganz neue Qualität erreicht: Sie scheint vollkommen frei von allen Erwartungen und unbeeindruckt von allen Moden.
Krohn hat schon vieles hinter sich gebracht, eine Elvis-Coverband, eine Punk-Kapelle, die von einigen wenigen sehr geschätzte, aber schlussendlich weitgehend ignorierte Band Britannia Theatre, Unglücksschläge und Unfälle, eigenes Label und Verlag, ein Philosophiestudium, eine versandete Solokarriere, Versuche als Künstler und Schriftsteller und jede Menge Gelegenheitsjobs. Aber trotzdem macht er – zum Glück – unverdrossen immer weiter und jedes weitere Lebenszeichen ist ein Sieg: Dear Mister Singing Club hat der mittlerweile 42-jährige Krohn aufgenommen mit Bernd Jestram und Ronald Lippok, die sonst als Tarwater fungieren. Es ist aber vor allem eine Krohn-Platte geworden, also eine Platte, auf der alles möglich ist, was dem Künstler gerade in den Sinn kommt: seien es englische oder deutsche Texte, Dada-Zeilen oder tiefgründelnde Rezitative, ein herzerwärmend krepeliges Blues-Intro oder seltsames Geklimper, Sumpfrock oder fein ziselierte Balladen, Kindermördergesang oder Kinderliedmelodien. Das Tollste aber ist, wie Krohn immer wieder Melancholie mit Humor versetzt: In einem Moment schwelgt er in suizidaler Stimmung, im nächsten kippt das in höheren Blödsinn, ohne dass einem ein Bruch aufstoßen würde. Große Kunst, die garantiert niemals groß raus kommen wird.

Thomas Winkler, die tageszeitung, 28.11.2013

 

Fakten und Vermutungen zu Alexander Krohn

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