Arno Holz’ Gedicht „Chorus der Lyriker“

ARNO HOLZ

Chorus der Lyriker

O Mainacht, Mond und Mandoline!
wer schwärmte früher für Lassalle?
Heut gellt der Pfiff der Dampfmaschine
Ins Hohelied der Nachtigall!

Man schimpft uns „ewge Sekundaner“
Doch falsch ist ihre Strategie:
Wir sind die letzten Mohikaner
Der deutschen Stimmungspoesie.

Wir klopfen an die leere Tonne
Und rufen: Wein her, rothen Wein!
Auch uns erfreut das Licht der Sonne,
Nur darf es nicht elektrisch sein.

Lasst uns die Henkelkrüge schwingen:
Ju Evoë, Anakreon!
Was geht die Zeit uns an? Wir singen
Von Mammuth und vom Mastodon!

1892

 

Konnotation

Den Aufbruch des Gedichts in die Zeit der Moderne hat hier der kampfeslustige Dichter und bekennende Sozialdemokrat Arno Holz (1863–1929) in einer Art Programmgedicht verkündet. Bereits in seinem frühen Buch der Zeit, in diesem Fall in der 2. Auflage dieses Werks 1892, schwärmt Holz von der neuen Dynamik der Poesie, die mit der industriellen Revolution ins Maschinenzeitalter eingetreten sei.
Das „Hohelied der Nachtigall“ im Gedicht ist hier vom Pfeifen der Dampfmaschine abgelöst worden. Holz hat hier zugleich ein lyrisches Kollektiv erfunden, das sich offenbar gegen den Ansturm der technischen Neuerungen zur Wehr setzt. Als „letzter Mohikaner der deutschen Stimmungspoesie“ wollte Holz selbst nicht in die Literaturgeschichte eingehen. So zog es ihn 1899 konsequenterweise zur „Revolution der Lyrik“ und zum Umsturz der alten (Reim-)Formen.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.

0:00
0:00