Barbara Köhlers Gedicht „Die Tücke des Subjekts“

BARBARA KÖHLER

Die Tücke des Subjekts

wer spricht mich wer will mich
sprechen wer redet ein wer ent
zweit wer vergleicht verwertet
mich rechnet mit mir wer zählt
auf mich & macht sich ein bild
stellt sich vor wer geht davon
aus was bleibt wer fordert ein
sicht hat eine perspektive hat
zukunft & keine zeit wem denke
ich nach wer sagt ich wer weiß

1994

aus: Barbara Köhler: Blue Box. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1994

 

Konnotation

Der Zusammenhang von Sprache und Macht und die immanente Gewalt der Grammatik können für moderne Poesie zur Zerreißprobe werden. So thematisieren etwa die Gedichte der 1959 geborenen Barbara Köhler die Unterwerfung der Sprechenden unter die „Knechtschaft der Zeichen“. „Ich rede mit der Sprache“, heißt es im Auftaktgedicht des Bandes Blue Box (1994), „manchmal antwortet sie. Manchmal antwortet auch jemand anders.“ Ein thematisch ähnliches Gedicht in Blue Box spricht von den Zuschreibungen, die dem Ich auferlegt werden.
„Die Tücke des Subjekts“ wird lesbar als Ohnmachtserfahrung des Ich: Denn das Subjekt ist hier kein Souverän, sondern ist dem lateinischen Ursprung des Begriffs näher – dem „sub-iectum“, also einer unterworfenen Instanz. Das Subjekt wird gleichsam umzingelt von den Redegesten, die das Ich funktionalisieren wollen: man „ent-zweit“, „vergleicht“, „verwertet“ und „rechnet“ mit einem Ich, das selbst keine Entfaltungsmöglichkeiten hat.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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