Bertolt Brechts Gedicht „Der Liebende nicht geladen“

BERTOLT BRECHT

Der Liebende nicht geladen

Gläser heut ungespült
Linnen heut glatt
Lächeln heut ungefühlt
Lippe heut satt.

Von den Schuhen: die großen.
Auf dem Stuhl: ein Buch.
Wollene Hosen.
Man erwartet keinen Besuch.

1939

aus: Bertolt Brecht: Die Gedichte 5. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a.M. 1964

 

Konnotation

In den sechs Jahren seines dänischen Exils bei Svendborg hat Bertolt Brecht (1898–1956) seine Fähigkeit zur beruflichen und sexuellen Instrumentalisierung der ihm ergebenen Frauen perfektioniert. Neben Helene Weigel, den gemeinsamen Kindern, und Margarete Steffin, die mit ihm nach Svendborg gegangen waren, vervollständigte nun die Schauspielerin, Schriftstellerin und Fotografin Ruth Berlau (1906–1974) den Kreis der Brecht-Geliebten.
Im Juli 1939, kurz nach der gemeinsamen Flucht aus Dänemark nach Schweden, schrieb Brecht die anrührende Miniatur vom ungeladenen Liebenden für Ruth Berlau. Die Abwesenheit des Geliebten ist zugleich die Ur-Situation für die Frauen Brechts, die durch das Insistieren des Meisters auf Distanz und sexueller Autonomie oft in schlimme psychische Krisen gerieten.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2008, Verlag Das Wunderhorn, 2007

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