Catulls Gedicht „Odi et amo. quare id faciam, fortasse requiris…“

CATULL

Odi et amo. quare id faciam, fortasse requiris.
nescio, sed fieri sentio et excrucior.

*

Ich hasse und ich liebe. Warum ich das tu, fragst du vielleicht.
Ich weiß es nicht; aber ich fühl, daß es mir widerfährt – und ich leide Qualen.

Übersetzung: Michael Braun

um 50 v. Chr.

 

Konnotation

Die emotionalen Zerreißproben der Leidenschaft und die Ambivalenzen von Liebe und Hass sind keine moderne Erfindung. Sie zerquälte auch schon die Dichter der Antike, die diverse Philosophien der Lebenskunst ersannen, um den Schmerz zu bannen und ihr Interesse an ungefährdeter Lust zu bewahren. Der römische Dichter Catull, der von ca. 87/86 v. Chr. bis ca. 58/57 v. Chr. lebte, konnte es sich durch seine ökonomische Unabhängigkeit von Patronen leisten, seinen Epikureismus, also sein hedonistisches Lebensprogramm, in sehr drastischen, von Rücksichtnahme freien Gedichten zu bekennen.
Catulls berühmtestes Gedicht, das „Carmen“ 85, handelt von dieser verzweifelten Zerrissenheit zwischen Liebe und Hass. Das Gedicht-Ich vermag den Ursprung dieser „höllischen Pein“ – wie es in einer von rund 80 Übersetzungen ins Deutsche heißt – nicht zu ergründen. Was sich als sinnliche Erfahrung mitteilt, ist einzig die Anwesenheit des Schmerzes selber, der als martervolle „Kreuzigung“ beschrieben wird.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2011, Verlag Das Wunderhorn, 2010

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