Claus Bremers Gedicht „Der Fisch fliegt steil“

CLAUS BREMER

Der Fisch fliegt steil

der fisch fliegt steil
fliegt in die sonne die steil
sinkt fliegt der fisch
der fisch in die sonne die steil
ins meer steil der fisch
der fisch ins meer fliegt

steil in die sonne die sinkt
in die sonne die sinkt fliegt
fliegt ins meer sinkt

1950er Jahre

aus: Deutsche Lyrik – Gedichte seit 1945. Hrsg. v. Horst Bingel. Deutsche Verlagsanstalt, Stuttgart 1961

 

Konnotation

Es gibt nur wenige Autoren aus dem Umkreis der Nachkriegs-Avantgarde, die so viele schöpferische Metamorphosen durchlaufen haben wie der Theateraktivist und experimentelle Poet Claus Bremer (1925–1996). Der in Hamburg geborene und lange Zeit in Zürich lebende Mitbegründer der konkreten Poesie erfand zunächst die Gattung der „Tabellengedichte“ und entwickelte komplexe Schriftarchitekturen, bevor er in seinem Spätwerk zu weltanschaulicher Bekenntnisdichtung überging. Sein Versuch über den Flug eines Fisches entstammt seiner experimentellen Phase.
Aus einem sehr übersichtlichen Bestand von gerade mal sechs Wörtern (Fisch-Sonne-Meer-fliegt-sinkt-steil) entwickelt Bremer hier seine vertrackte poetische Miniatur über den Steilflug. Durch ständige Neu-Zuordnung der Substantive und des Adverbs „steil“ entsteht ein reizvolles Spiel mit Vertauschungen und eine schöne Verwirrung der Wahrnehmung.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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