Dieter Roths Gedicht „Da oben“

DIETER ROTH

Da oben

Auf einem kuehlen Berge,
an eines Hauses Wand,
hinter einem Fenster,
bei Sonnenschein,
da ward mir schlecht,
da ward mir suess,
da hat er mich fertiggemacht,
der innere Zwerg
mit seiner Turnerei
zwischen meinen Ohren.

nach 1970

aus: Das bleibt. Deutsche Gedichte 1945–1975. Hrsg. v. Jörg Drews. Reclam Verlag, Leipzig 1995

 

Konnotation

In seinen „Bastel-Novellen“, „Ideogrammen“ und seinen besonders delikaten „Scheiße“-Phantasmagorien hat der Universalkünstler Dieter Roth (1930–1998) die herkömmlichen Literaturbegriffe sabotiert. Am Urgrund seines Schreibens, in der radikalen Selbstentblößung seiner Tagebuch-Notate und boshaften Gedichte, lauern Selbstekel, Existenzangst und Wutausbrüche. In einigen Gedichten nimmt er den Volkslied-Ton auf um dann von den eigenen Abgründen zu berichten.
Mit der Melodie eines bekannten Wiegenlieds setzt das Gedicht ein, um dann in fortgesetzter sarkastischer Desillusionierung vom körperlichen und seelischen Elend des Ich zu sprechen. Zuversicht und Trost sind in der negativistischen Dichtkunst Dieter Roths nicht vorgesehen. Immer ist da ein Dämon oder ein böser Kobold („der innere Zwerg“), der die Verheißung des „süßen“ Wohlbehagens vernichtet.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2009, Verlag Das Wunderhorn, 2008

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