Eduard Mörikes Gedicht „Gebet“

EDUARD MÖRIKE

Gebet

Herr! schicke was du willt,
Ein Liebes oder Leides;
Ich bin vergnügt, daß beides
Aus Deinen Händen quillt.

Wollest mit Freuden
Und wollest mit Leiden
Mich nicht überschütten!
Doch in der Mitten
Liegt holdes Bescheiden

1832

 

Konnotation

Vier Jahre lang war der schwäbische Pfarrvikar Eduard Mörike (1804–1875) von einem Provisorium zum nächsten gezogen, als er 1832 in Plattenhardt auf den Fildern auf die Pfarrerstochter Luise Rau traf in die er sich ebenso unsterblich wie unglücklich verliebte. 1832 beginnt er auch mit der Abfassung seines „Gebets“, in dem sich der Melancholiker zur Devotion zwingt und sich „holdes Bescheiden“ in einer mittleren Gefühlslage auferlegt.
Der Pfarrerberuf quält und langweilt Mörike, aber seine Versuche, sich als freier Schriftsteller zu etablieren, sind gescheitert. In seinen Gedichten verbindet sich antike Tragik mit dem romantischen Volkslied zu einer artistischen Synthese. Erst 1846, als er von seiner Pfarrei in Cleversulzbach nach Mergentheim gewechselt ist, vollendet er sein „Gebet“. Es ist das fromme Bekenntnis eines Menschen, dem das Lebensglück versagt blieb und der nun seinen Weltschmerz wie die biblische Gestalt des Hiob mit absoluter Demut zu ertragen gedenkt.

Michael Braun, Deutschlandfunk-Lyrikkalender 2007, Verlag Das Wunderhorn, 2006

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